Neue FIAN-Studie: Agrarökologie als Weg aus der Hungerkrise

Neue Studie von FIAN Österreich zeigt: Nur mit Vielfalt kann Hunger und Mangelernährung beendet werden. Agrarökologie verbessert die Ernährung, denn größere Vielfalt im Anbau bedeutet  auch eine größere Vielfalt auf dem Teller. Agrarökologie ist die Grundlage für die Überwindung der industriellen Landwirtschaft. Er steigert die Produktivität und schützt das Klima. Der ganzheitliche Ansatz rückt die kleinbäuerliche Landwirtschaft ins Zentrum. Durch bäuerliche Partizipation werden innovative Methoden entwickelt, um die Welt nachhaltig zu ernähren.

Die neue Studie von FIAN zeigt, dass eine agrarökologische Transformation Auswege aus der Klima-, Ernährungs-, Hunger-, Biodiversitäts- und Gesundheitskrise bietet, ohne Ungleichheit und Armut zu verschärfen. Agrarökologie befördert die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung für alle Menschen.

„Agrarökologie ist eine alternative bäuerliche Praxis, die von der Kunst der bäuerlichen Landwirtschaft ausgeht und vom Boden bis zum Teller das Lebendige ins Zentrum stellt. Dies reicht von der Förderung eines lebendigen, gesunden Bodenlebens bis zur Stärkung einer lebendigen Demokratie als Voraussetzung für Ernährungssouveränität für alle. Agrarökologie ist eine Wissenschaft, die neue Denkweisen und Formen der Wissensproduktion zusammen mit Bauern und Bäuerinnen auf Augenhöhe ermöglicht. Diversifizierte agrarökologische Systeme bieten aktuell die wichtigsten Alternativen zur industriellen Landwirtschaft. Der Überwindung der aktuell vorherrschenden Machtkonzentration in Händen von Wenigen ist dafür die zentrale Voraussetzung. Agrarökologie wird von einer weltweiten sozialen Bewegung für einen umfassenden Wandel hin zu einer Landwirtschaft, die zukunftsfähig und gerecht ausgestaltet ist, vorangetrieben“, so Franziskus Forster, Studienautor und selbst Bio-Gemüsebauer.

Agrarökologie: Höhere Erträge auch in Zeiten des Klimawandels

Agrarökologische Systeme weisen eine höhere Resilienz gegenüber klimatischen Schocks wie z. B. Dürren auf. Agrarökologie hilft bei der Anpassung an den Klimawandel und ‚kühlt den Planeten‘. Agrarökologie hilft nicht nur dabei, die negativen Effekte der Landwirtschaft auf die Umwelt zu verringern, sondern verbessert die Bodenfruchtbarkeit und ermöglicht so die Bindung von CO2, während gleichzeitig die Abhängigkeit von energie- und treibhausgasintensiven externen Inputs reduziert wird. „Um diese Potenziale erfassen zu können, sind neue Erfolgskriterien und Messgrößen notwendig: So bietet etwa eine industrielle Monokultur mehr Ertrag einer Feldfrucht pro Hektar. Wird jedoch der gesamte Ertrag aller angebauten Früchte, sowie die Energie- und Ressourceneffizienz und die Effekte auf Mensch und Umwelt einbezogen, dann wird deutlich, wie groß das Potenzial von Agrarökologie ist. Notwendig sind dafür aber auch neue Kriterien, die nicht mehr die industrielle Landwirtschaft bevorzugen und zugleich zentrale Zukunftsfragen ausblenden“, verdeutlicht Forster.

Agrarökologie ermächtigt Kleinbäuerinnen und –bauern

Agrarökologie stellt die kleinbäuerliche Landwirtschaft ins Zentrum. Zentral ist die Anerkennung der direkt von Mangel, Armut und Hunger betroffenen Menschen als Schlüsselfiguren der Transformation, sowohl in der Praxis am Feld, als auch in der Wissensproduktion und Forschung. „Agrarökologie wirkt ermächtigend und stärkt die demokratische Teilhabe. Viele agrarökologische Methoden wurden von Bauern und Bäuerinnen selbst entwickelt und durch kleinbäuerliche Netzwerke verbreitet“, erklärt Brigitte Reisenberger, Geschäftsleiterin von FIAN Österreich. Die FIAN-Studie veranschaulicht das Potenzial von Agrarökologie mit einer Vielzahl an Beispielen aus aller Welt.

Kenia: Schädlingsbekämpfung durch Pflanzen

In Kenia hat das Internationale Zentrum für Insektenphysiologie und Ökologie (ICIPE) in Zusammenarbeit mit KleinbäuerInnen die Push-Pull-Methode zur Schädlings- und Unkrautsbekämpfung entwickelt, durch die Maisernte und Milchproduktion verdoppelt wurde. Durch den Anbau spezieller Hilfspflanzen in der kleinbäuerlichen Produktion werden Ertragssteigerung und Schädlingsbekämpfung kombiniert. Die Pflanzen vertreiben Schädlinge (push) und locken natürliche Fressfeinde der Schädlinge an (pull). Zusätzlich dienen sie den Bauern und Bäuerinnen als weitere Einnahmequelle. Durch BürgerInnenversammlungen, Radiosendungen und ‚farmer field schools‘ verbreitete sich diese Push-Pull-Methode in Kenia rasant und wird inzwischen auf über 10.000 Höfen in Ostafrika angewendet.

Japan: Weniger Gift dank Enten

Der massive und oft exzessive Einsatz von Kunstdüngern, Herbiziden und Pestiziden im Nassreisanbau ist teuer und schadet Mensch und Umwelt. Auf der japanischen Insel Kyushu entdeckte der Reisbauer Takao Furuno eine alte Anbautechnik wieder und entwickelte daraus ein praktikables biologisches Anbausystem: Die Aigamo-Methode. Sogenannte Aigamo-Enten werden nach dem Anpflanzen der Setzlinge auf die Reisfelder ausgesetzt. Die Enten verschmähen die Reispflanzen, fressen jedoch Unkräuter und Insektenschädlinge. Mit ihren Ausscheidungen düngen sie den Boden. Die Bauern und Bäuerinnen können die Enten selbst als zusätzliche Eiweiß- oder Einkommensquelle nutzen. Wissenschaftliche Auswertungen zeigen, dass die Aigamo-Methode die Bodenfruchtbarkeit verbessert und die Artenvielfalt erhält. In Bangladesch stellte das Internationale Reisforschungsinstitut (IRRI) fest, dass die Aigamo-Methode die Erträge um 20 Prozent und Nettoeinkommen um 80 Prozent gesteigert hat.

Malawi: Geschlechtergerechtigkeit statt Mangelernährung

60 Prozent der Mangelernährten weltweit sind Frauen und Mädchen. Studien zeigen seit langem, dass eine ungleiche Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern im Haushalt und in der landwirtschaftlichen Produktion zu dieser Entwicklung beiträgt. Mehr Gleichheit kann also zu erhöhter Ernährungssicherung führen. „Die Rezepttage aus Malawi zeigen, dass über agrarökologische Methoden Möglichkeiten entstehen können, in denen Ungleichheiten überwunden und Geschlechtergerechtigkeit besser erreicht wird“, betont Forster.

In der Ekwendi Region im Norden Malawis startete 2000 das Forschungsprojekt „Soil, Food and Healthy Communities“. In sieben Gemeinden wurden je 30 Mitglieder eines bäuerlichen Forschungsteams ausgewählt, um ihre Erfahrungen auszutauschen und mit Techniken des Ökolandbaus zu experimentieren. Dabei nahmen Frauen und Männer gleichermaßen teil. Durch den Anbau von Leguminosen, wurden die Böden verbessert und alternative Ernährungsquellen erschlossen. Dies sollte der Mangelernährung entgegen wirken. Durch die Evaluation des Projekts wurde jedoch sichtbar, dass kostengünstige Verbesserungen in der Produktion wichtig sind, aber nicht ausreichen, um die Ernährung zu sichern. Die ungleiche Arbeitsaufteilung blieb bestehen und somit die unsichere Ernährungslage der Frauen und Kinder. Um Geschlechterverhältnisse zu diskutieren und zu verändern wurden „Rezepttage“ ins Leben gerufen. Bei den Treffen kochen Männer und Frauen gemeinsam. Es werden Rezepte ausgetauscht und gleichzeitig über die Geschlechterrollen diskutiert. In drei Jahren nahmen über 1.000 Männer und Frauen teil. Drei Viertel stellten dadurch eine Veränderung hin zu mehr Gleichheit in der Arbeitsteilung und Entscheidungsfindung fest. Damit wurde auch die Ernährung der Frauen und Kinder verbessert.

Umdenken in der Ernährungspolitik gefragt

Die Hungerkrise zeigt deutlich, dass die industrielle Landwirtschaft mit ihrem hohen Ressourcenverbrauch nicht in der Lage ist, die Welt zu ernähren. Dennoch wird sie durch die internationale Ernährungspolitik weiter gefördert. „Eine Welt ohne Hunger ist das Versprechen und die Zukunftsvision von Agrarökologie und dem Menschenrecht auf Nahrung. Es müssen politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche Bauern und Bäuerinnen als Schlüsselfiguren in der Lösung der Hungerkrise sehen. Nur so kann das Recht auf Nahrung für alle umgesetzt werden“, so Brigitte Reisenberger abschließend.

Icon Mit-Agraroekologie-fuer-das-Recht-auf-Nahrung.pdf (552,3 KB)

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Rückfragehinweis:

Linnéa Richter, FIAN Österreich

linnea.richter[at]fian.at, +43 (0)1/2350 239 12, Mobil +43 (0)650-4055511

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