Ukraine-Krieg: FIAN veröffentlicht Bericht

Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht die wachsende globale Nahrungsmittelkrise und die Notwendigkeit einer neuen Welternährungssicherheitsstrategie

Der Krieg in der Ukraine verursacht unvorstellbares menschliches Leid, fordert zahllose Leben und bedroht das Recht der Bevölkerung auf Nahrung. Seine Auswirkungen reichen weit über die Grenzen der Ukraine hinaus, verschärfen die bestehende globale Nahrungsmittelkrise und unterstreichen die Fragilität von konzerndominierten Ernährungssystemen.

Lebensmittelpreise bereits vor Kriegsbeginn auf Allzeit-Hoch

Die medialen Schlagzeilen können den Eindruck erwecken, dass der russisch-ukrainische Konflikt allein für die steigenden Lebensmittelpreise und die Verknappung verantwortlich sei. Sicherlich verschärft er die prekäre Lage der Ernährungssicherheit, nicht zuletzt in Ländern wie dem Jemen und dem Libanon, die in hohem Maße von Weizenimporten aus der Ukraine und Russland abhängig sind und bereits vor dem Einmarsch Russlands vor enormen Herausforderungen standen.

Allerdings waren die Lebensmittelpreise schon vor Kriegsbeginn in die Höhe geschossen. Und die Zahl der hungernden und unterernährten Menschen ist weltweit stark angestiegen, was vor allem auf andere Kriege und Konflikte sowie die Klimakrise und deren Zusammenspiel mit strukturellen Faktoren zurückzuführen ist, die die Ernährungssysteme beeinflussen. Nach Angaben der Vereinten Nationen könnten bis zum nächsten Jahr bis zu 13 Millionen Menschen mehr von Unterernährung betroffen sein, zusätzlich zu den 811 Millionen, die für 2020 gemeldet wurden.

Steigerung der industriellen Produktion ist keine Lösung

Der neue Bericht von FIAN International „War in Ukraine: Recurring Food Crises Expose Systemic Fragility" zeigt, dass die internationale Reaktion auf diese wachsende Krise mangelhaft war, und fordert die Regierungen und die Vereinten Nationen auf, sich mit den strukturellen Ursachen von Hunger und Unterernährung sowie mit Krieg, bewaffneten Konflikten und weit verbreiteter Gewalt zu befassen, um die wiederkehrenden globalen Nahrungsmittelkrisen zu stoppen.

"Die Steigerung der industriellen Nahrungsmittelproduktion und die Aufrechterhaltung der übermäßigen Abhängigkeit vom Welthandel werden diese Nahrungsmittelkrise nicht lösen. Leider ist das jedoch bisher die wichtigste internationale Reaktion gewesen. Es ist an der Zeit, dass der Ausschuss für Welternährungssicherheit der Vereinten Nationen (CFS) eine globale politische Antwort koordiniert, die einen menschenrechtlichen Ansatz verfolgt, um den Kurs zu ändern", sagt FIAN International-Generalsekretärin Sofia Monsalve.

Lokale Ernährungssysteme und Ernährungssouveränität stärken

"Die internationale Gemeinschaft sollte humanitäre Maßnahmen in allen Ländern, die mit Notsituationen und langwierigen Krisen konfrontiert sind, angemessen finanzieren und dabei der Unterstützung von Kleinbauern und Fischern Vorrang einräumen, um lokale Ernährungssysteme und Ernährungssouveränität wieder aufzubauen und zu stärken."

Der Bericht stützt sich auf Interviews mit kleinen Lebensmittelproduzent*innen und Aktivist*innen in mehreren Ländern, die von verschiedenen Krisen betroffen sind, darunter die Ukraine, Jemen und Ägypten. Er hebt die Hauptursachen für den zunehmenden Hunger und die Unterernährung hervor, wie z. B. die Zunahme von Kriegen und Konflikten, die Abhängigkeit von globalen Wertschöpfungsketten und die Marginalisierung der lokalen Lebensmittelproduktion, Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen, die Zerstörung der Umwelt und die wiederkehrende Preisvolatilität bei Lebensmitteln aufgrund der zunehmenden Dominanz von Unternehmen über Land, Wasser, Saatgut und andere Ressourcen.

Ukrainische Kleinbäuer*innen widerstandsfähiger als exportorientierte Großbetriebe

"Die ukrainischen Kleinbäuer*innen wurden jahrelang ignoriert und unsichtbar gemacht und erhielten keinerlei Unterstützung von der Regierung", sagt Attila Szocs-Boruss von der Bäuer*innenvereinigung Eco Ruralis in Rumänien und fügt hinzu, dass sich die Kleinbäuer*innen trotz der russischen Bombardierung der landwirtschaftlichen Infrastruktur, einschließlich Traktoren, als widerstandsfähiger erwiesen hätten als die exportorientierten Großbetriebe. "Sie waren entscheidend, und jetzt, wo es so viele Binnenvertriebene gibt, sehen wir, wie wichtig sie für die Ernährung der Ukrainer sind.

Neue Strategie für globale Ernährungssicherheit gefordert

Eine wirksame Strategie für die globale Ernährungssicherheit erfordert eine Abkehr von deregulierten Märkten, die Eindämmung von Spekulationen und den Aufbau von Nahrungsmittelreserven auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene - mit Vorrang für Nahrungsmittel aus agrarökologischen, kleinbäuerlichen Betrieben. FIAN International fordert die Entwicklung einer neuen globalen Handelsagenda, die auf dem Recht auf Nahrung und den Menschenrechtsprinzipien Würde, Selbstversorgung und Solidarität basiert, wie vom UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung empfohlen.

Der Bericht ist in Englisch erschienen. Sie finden ihn hier zum Download.

Rückfragen: Tina Wirnsberger

"Die Agrarreform bleibt ein unerfülltes Versprechen"

Die vorherrschende Meinung sieht drei Hauptgründe für die anhaltenden Ernährungsprobleme: die Covid-Pandemie, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den Klimawandel. Joseph Purugganan hingegen bezeichnet die globale Ernährungskrise als Folge der industriellen Landwirtschaft. Purugganan koordiniert das Philippinen-Programm von Focus on the Global South. Die Organisation ist eng verbunden mit sozialen Bewegungen in Asien und entwickelt Konzepte für einen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandel.

Oikocredit: Mediation über Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor ohne Einigung

Am 24.1. scheiterte die Mediation zwischen des drei NGOs und Oikocredit. Die Mediation war nach einer OECD-Beschwerde bei der niederländischen Nationalen Kontaktstelle (NKS) im Dezember 2022 wegen Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor eingeleitet worden. Die drei NGOs FIAN Deutschland, Euqitable Cambodia und LICADHO haben dazu eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht. 

Sri Lanka-Nahrungskrise und Sparprogramme

Eine der jüngsten und zugleich sehr aktiven FIAN-Sektionen befindet sich in Sri Lanka. Das südasiatische Land wurde im vergangenen Jahr von einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert, mit verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Viele Haushalte haben sich verschuldet, um die steigenden Preise für Lebensmittel, Medikamente und Kraftstoffe zahlen zu können. FIAN Sri Lanka setzt sich für die Rechte von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, Bäuerinnen und Bauern sowie Fischer:innen ein und kooperiert hierbei auch mit Behörden. Sabine Pabst (FIAN International) sprach mit dem Geschäftsführer Thilak Karyawasam und dem Vorstandsvorsitzenden Sathivel Visvalingam.

FIAN-Partner fördern Agrarökologie

Die indonesische Bauerngewerkschaft SPI unterstützt ihre Mitglieder bei der Umstellung auf Agrarökologie. Die steigenden Preise für Düngemittel und Pestizide machen diesen Schritt für mehr und mehr Landwirte attraktiv. FIAN Deutschland-Referent Mathias Pfeifer und FIAN Deutschland-Geschäftsführer Philipp Mimkes besuchten zwei Schulungszentren, in denen der ökologische Anbau, die Eigenproduktion von Düngemitteln sowie Vertriebskonzepte vermittelt werden. Dank hoher Erträge können die Bäuerinnen und Bauern selbst auf kleinsten Parzellen erfolgreich wirtschaften.  

 

Recherchereise in Indonesien: Widerstand gegen Geothermie-Kraftwerk auf der Insel Flores

Anfang März besuchte der FIAN Deutschland-Südostasienreferent indigene Gemeinden auf der Insel Flores. Diese sind von negativen Auswirkungen eines Geothermie-Kraftwerks betroffen, darunter Landkonflikte, Ernteeinbrüche sowie erhöhte Gefahr von Erdrutschen. Das von der deutschen KfW Entwicklungsbank finanzierte Kraftwerk soll nun nochmals erweitert und vergrößert werden. Die indigenen Gemeinden lehnen dies entschieden ab. Ihr Widerstand gegen das Projekt wird mit Einschüchterung und Polizeigewalt beantwortet.

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