Rechte statt Almosen - Soziale Rechte in Österreich verankern und durchsetzen

Österreich rühmt sich damit, ein Sozialstaat zu sein. Doch was ist ein Sozialstaat? Ein Sozialstaat gewährleistet einen angemessenen Lebensstandard für alle und federt soziale Risiken durch soziale Rechte ab. Er unterstützt benachteiligte Gruppen nicht aus Barmherzigkeit, sondern aufgrund seiner gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten. Leistungen werden nicht nach Gutdünken gewährt, sondern stehen zu, wenn konkret definierte Voraussetzungen vorliegen. Die Betroffenen sind Träger*innen von Rechten und haben dementsprechend durchsetzbare Ansprüche auf Leistungen.

Österreich ziert sich nach wie vor, soziale Rechte – wie etwa das Recht auf Nahrung – für jeden Einzelnen festzuschreiben. Es ist natürlich wunderbar, dass es soziale Einrichtungen wie die „Tafel“ oder die „Gruft“ gibt, aber Rechtsanspruch auf Nahrung oder auf ein Dach über dem Kopf gibt es hier keinen. So wichtig und sinnvoll karitative Einrichtungen auch sind, die entscheidende Frage aus menschenrechtlicher Sicht ist, ob der Einzelne einen (durchsetzbaren) Anspruch auf Leistungen hat. Im Fall der Tafeln, der Caritas, der VinziRast, und vielen weiteren handelt es sich um NGOs oder zivilgesellschaftliche Initiativen, die de facto für den Staat einspringen, ihn damit auch ein Stück weit aus der Verantwortung entlassen und verdecken, dass eine rechtliche Absicherung fehlt. Denn die Pflicht, Menschenrechte einzuhalten und zu realisieren, trifft den Staat, nicht NGOs oder Einzelpersonen.

Wenn also Österreich ein Sozialstaat ist, in welcher Form können soziale Rechte des/der Einzelnen und soziale Verpflichtungen des Staates in Zukunft gesetzlich abgesichert werden? Kann der Staat für Verletzungen dieser Pflicht verantwortlich gemacht werden? Dieser Frage wird der folgende Beitrag nachgehen.

Zur Geschichte sozialer Rechte in Österreich
Erstmals wurden in Österreich Grundrechte 1867 im „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ zusammengefasst. Das Gesetz wurde von Kaiser Franz Josef I. erlassen und wird in weiten Teilen bis heute angewendet. Soziale Rechte sind darin nicht enthalten, die Zeit war dafür noch nicht reif. Seit dem Ersten Weltkrieg gab es mehrere Gelegenheiten die sozialen Rechte in den Verfassungsrang zu heben und die Grundrechte an die neuen gesellschaftspolitischen Gegebenheiten anzupassen. Doch es scheiterte immer wieder an den Differenzen der Großparteien. Zuletzt auf dem Österreich-Konvent von 2003 bis 2004 .

Daher gilt das Staatsgrundgesetz heute noch. Die Forderung nach der Verankerung sozialer Grundrechte in der Verfassung ist nach wie vor aktuell. Das österreichische Verfassungsrecht enthält – anders als zum Beispiel das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – weder soziale Grundrechte, noch eine Sozialstaatsklausel oder einen speziellen Grundrechtsschutz für sozialrechtliche Leistungen. Es kennt lediglich bürgerliche und politische Grundrechte, wie zum Beispiel das Wahlrecht, das Versammlungsrecht, den Schutz der Privatsphäre oder das Folterverbot.

Soziale Rechte auf europäischer und internationaler Ebene
Auf europäischer Ebene schaut es nicht viel besser aus: Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich im Verfassungsrang steht, schützt vorwiegend bürgerliche und politische Rechte. Soziale Rechte finden sich in der Europäischen Sozialcharta (ESC). Die kennt allerdings keinen individuellen Durchsetzungsmechanismus, sondern lediglich eine Kollektivbeschwerde, eingeführt durch das Zusatzprotokoll von 1995, welches Österreich allerdings bis heute nicht ratifiziert hat.

Auf internationaler Ebene gab es erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Eindrücken der Gräueltaten weltweit die Bereitschaft der Staatengemeinschaft, Menschenrechten auf internationaler Ebene mehr Gewicht zu verleihen. Zunächst wurde 1948 das wohl bekannteste menschenrechtliche Instrument formuliert – die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Jedoch handelt es sich um eine Deklaration, die an sich nicht rechtsverbindlich ist. Deswegen wollte man ein zweites, verbindliches Instrument schaffen – einen Menschenrechtspakt. Zur Umsetzung dieses Plans kam es erst zwei Jahrzehnte später, als bereits der Kalte Krieg herrschte und die Welt ideologisch gespalten war: Auf der einen Seite der Westen, der die zivilen und politischen Rechte – wie das Recht auf Meinungsfreiheit, das Recht auf Religionsfreiheit oder das Folterverbot – hoch hielt und auf der anderen Seite der Osten und der Globale Süden, die sich für wirtschaftliche und soziale Rechte einsetzten – hierzu gehören das Recht auf Wohnen, das Recht auf Arbeit und auch das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (das das Recht auf Nahrung umfasst). Da sich die beiden Pole nicht auf ein Dokument einigen konnten, wurden zwei getrennte Pakte erstellt: ein Zivilpakt und ein Sozialpakt.

Lediglich der Zivilpakt wurde mit einem Individualbeschwerdeverfahren ausgestattet, sodass sich Betroffene auf UN-Ebene beschweren können. Ein Beschwerdeverfahren für den Sozialpakt bekam keine Mehrheit. Nicht zuletzt aufgrund dieses Unterschieds tendieren westliche Staaten dazu, wirtschaftliche und soziale Rechte nur als Absichtserklärungen zu verstehen, aus denen sich keine individuellen Rechtsansprüche ableiten lassen. So auch Österreich, das für seine ablehnende Haltung zur gerichtlichen Absicherung von sozialen Rechten mehrfach kritisiert wurde. Aufgrund eines so genannten „Erfüllungsvorbehaltes“ in der Bundesverfassung können sich Einzelpersonen nicht direkt auf die in völkerrechtlichen Verträgen festgehaltenen Rechte stützen. Diese dienen nur noch als Interpretationshilfen zur Auslegung nationaler Gesetze. Dies trifft sowohl auf die Europäische Sozialcharta als auch auf den UN-Sozialpakt zu. Der UN-Sozialausschuss drückt diesbezüglich in seinen abschließenden Bemerkungen zum vierten periodischen Bericht Österreichs von 2013 sein Bedauern aus, „dass kein Fortschritt dabei erzielt wurde, die Bestimmungen des Paktes systematisch in der nationalen Rechtsordnung des Vertragsstaates zu verankern.“

Diese Kritik des UN-Sozialausschusses, verhallte in Österreich weitgehend ungehört. Dabei wären Mechanismen, damit Einzelpersonen ihr Recht durchsetzen können, essentiell, um soziale Menschenrechte effektiv und zweckdienlich zu machen. Der schnellste Weg zur Gerechtigkeit ist es noch immer, den Betroffenen selbst faire Mittel in die Hand zu geben, damit sie ihre Rechte durchsetzen. Niemand weiß besser, wo der Schuh drückt, als jene*r, die/der es selber spürt.

Vorhandene Instrumente nutzen
Eigentlich gibt es bereits die erforderlichen Instrumente, um soziale Rechte durchsetzbar zu machen.

Ein Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt sieht vor, dass sich Einzelpersonen nach Erschöpfung des nationalen Rechtsweges bei den UN wegen Verstößen gegen soziale Menschenrechte beschweren können. Österreich müsste dieses Zusatzprotokoll nur ratifizieren, wie es bis dato 22 Staaten getan haben.

Parallel zu diesen internationalen Instrumenten und der Verankerung von sozialen Rechtsansprüchen im nationalen Recht, müssten kollektive Klagen (Verbandsklagen) zugelassen werden. Gerade finanziell schwachen Personen ist es oft nicht möglich, die eigenen Rechte in bisweilen langwierigen, aufwändigen und kostenintensiven Verfahren gegen den Staat auszustreiten. Das Verbandsklagerecht von Kammern, dem Verein für Konsumenteninformation oder dem Gewerkschaftsbund hat sich in Österreich bewährt. Spezialisierte Verbände mit entsprechendem rechtlichem und wirtschaftlichem Hintergrund können dann einspringen, wenn für (meist mittellose) Kläger*innen die Schwelle zum Zugang zu ihren Rechten zu hoch ist.

Woran scheitert es?
Wieso fürchten sich Staaten vor der Klagbarkeit von Rechten? Wieso geben Sie sich großzügig in diplomatischen Verhandlungsprozessen und bekennen sich völkerrechtlich gerne zu einer scheinbaren Vorreiterrolle, fürchten aber nichts mehr als die eigenen Bürgerinnen und Bürger, die diese Rechte wirksam durchsetzen wollen?

Wie bei den meisten Rechten, die auf eine faire Verwaltung und Verteilung von Ressourcen abzielen, kommt es letztlich darauf an, dass die Betroffenen Gehör finden. Es braucht politischen und medialen Druck aller auf die politischen Entscheidungsträger*innen, um Veränderungen zu bewirken. FIAN Österreich ist zu diesem Zweck in der Armutskonferenz, einem Netzwerk sozialer Organisationen, aktiv. Gemeinsam setzen wir uns dafür ein, konkrete soziale Rechte im österreichischen Rechtssystem zu verankern.

Für eines der wohlhabendsten Länder der Welt ist es ein Armutszeugnis, dass soziale Grundrechte nicht gesetzlich verankert sind. Soziale Gerechtigkeit kann es nur geben, wenn soziale Grundrechte sowohl verfassungsrechtlich gewährleistet als auch in nationalen Gesetzen umgesetzt sind, sodass der/die Einzelne sich bei einer Rechtsverletzung darauf berufen kann. Wir müssen unsere Rechte auch vor Gericht durchsetzen können, sonst bleiben sie zahnlos!

 

Angelina Reif, Vorstandsmitglied FIAN Österreich und aktiv in der Arbeitsgruppe „Soziale Rechte“ in der Armutskonferenz

Das Recht auf Nahrung in Europa

Die Ernährungsunsicherheit und Armut nehmen weltweit zu. Auch in Europa. Nach Schätzungen von Eurostat waren 21,7% der EU-Bevölkerung im Jahr 2021 armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Viele stellen sich u.a. die Frage: Heizen oder Essen? Die existierenden Maßnahmen und Programme kommen für viele zu kurz. Es ist essenziell, dass die Staaten den Zugang zu einer selbstbestimmten, angemessenen und ausreichenden Ernährung sichern.

Mikrofinanzkrise: OECD-Beschwerde gegen Oikocredit

Mikrokredite entpuppen sich in Kambodscha seit Jahren als Schuldenfalle. Während sie europäischen Investoren Profite bringen, führen sie vor Ort zu Landverlust, Armut und Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem hat der sogenannte „ethische“ Investor Oikocredit seine Investitionen in Kambodscha sogar noch erhöht. Drei NGOs legen daher nun Beschwerde gegen Oikocredit bei der OECD ein.

nach oben