Recht auf Nahrung von zwei Milliarden Menschen verletzt

26 % der Weltbevölkerung betroffen, darunter 8 % in Europa und Nordamerika

Laut den gestern in New York vorgestellten Zahlen der Welternährungsorganisation FAO leiden 821 Millionen Menschen weltweit an schwerem Hunger. Damit ist die Zahl der chronisch hungernden Menschen das dritte Jahr in Folge angestiegen. Laut der Menschenrechtsorganisation FIAN ist dies eine skandalöse Entwicklung, da sich parallel dazu in den vergangenen Jahren die weltweiten Ernten und Nahrungsvorräte deutlich erhöhten.

Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich ist laut FAO-Bericht eine zentrale Ursache für diese Entwicklung. „Es ist einer der größten Skandale unserer Zeit, dass trotz ausreichend vorhandener Nahrung so viele Menschen hungern und an den Folgen von Hunger sterben. Das Recht auf Nahrung von zwei Milliarden Menschen – rund 26 % der Weltbevölkerung – wird verletzt“, so Brigitte Reisenberger, Geschäftsleiterin der Menschenrechtsorganisation FIAN Österreich.

Mit dem diesjährigen Report „State of Food Security and Nutrition in the World“ (SOFI) hat die FAO den neuen Indikator FIES (Food Insecurity Experience Scale) zur Hungerbemessung berücksichtigt. Er beruht – im Gegensatz zum klassischen Indikator Prevalence of Undernourishment (PoU) – auf konkreten Haushaltsbefragungen. Demnach leiden über zwei Milliarden Menschen an Ernährungsunsicherheit und sind gezwungen, regelmäßig Mahlzeiten auszulassen. Hierzu gehören auch 8% der Bevölkerung in Europa und Nordamerika. Die weltweite Erhebung des FIES-Indikators ermöglicht nach Ansicht von FIAN eine genauere Analyse der Hunger-Ursachen, wenn auch eine Aufschlüsselung der einzelnen Länder weiterhin fehlt.

Die Herausgeber des Berichts, darunter die Direktoren der FAO und des Welternährungsprogramms WFP, waren sich gestern in New York einig, dass die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, Austeritätsprogramme und mangelnde soziale Sicherheit zentrale Ursachen des Hungers sind. Sie unterstrichen die Notwendigkeit eines grundlegenden politischen Umsteuerns, um die Ursachen des Hungers anzugehen – ein neuer Ton im Vergleich zu den SOFI-Veröffentlichungen der vergangenen Jahre. Was progressiv beginnt, endet jedoch in den altbekannten Forderungen nach einer stärkeren Rolle von Privatsektor und Industrie durch erhöhte Investitionen und Finanzierungen. Keiner der Herausgeber fordert ein stärkeres Engagement für die Menschenrechte.

„Um das Ziel der Weltgemeinschaft zu erreichen, den Hunger bis 2030 zu beenden, warten die Betroffenen weiter auf ein echtes Umdenken in der Politik. Diese verlässt sich weiter einseitig auf die vollmundigen Versprechen der Agrar- und Ernährungskonzerne, die schon seit 50 Jahren erklären, dass ihr industrielles Produktionsmodell den Hunger beenden würde. Die Zahl der Hungernden ist seitdem jedoch gestiegen, obwohl diese Konzerne heute mehr denn je die Ernährung kontrollieren“, so Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland.

Weitere strukturelle Gründe für die hohen Hungerzahlen – die Diskriminierung von Frauen und ländlicher Bevölkerung, Landgrabbing oder die erzwungene Öffnung der Agrarmärkte in Entwicklungsländern – wurden bei der Vorstellung des Berichts ebenfalls kaum berücksichtigt. „In Ländern des Südens werden rund zwei Drittel aller Nahrungsmittel von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern produziert. Diese werden jedoch seit Jahrzehnten systematisch in unfruchtbare und abgelegene Gebiete abgedrängt und einem unfairen globalen Wettbewerb ausgesetzt“, so Reisenberger.

Das Recht auf Nahrung wird im UN-Sozialpakt garantiert. In den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) haben die Vereinten Nationen vereinbart, bis 2030 das Recht auf Nahrung für alle Menschen zu verwirklichen. FIAN setzt sich seit 1986 für die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung ein und besitzt offiziellen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen.

Zum kompletten SOFI-Bericht

FIAN wird in den kommenden Wochen eine umfassendere Bewertung der Ergebnisse des SOFI-Berichts 2019 vornehmen. Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an Brigitte Reisenberger (brigitte.reisenberger@fian.at, Tel: 069918330033) oder Philipp Mimkes (P.Mimkes@Fian.de, Tel: 0049221-47449120)

Hintergrund zum FIES: Der FIES (Food Insecurity Experience Scale) wurde als zusätzlicher Indikator zur Erreichung des SDG-Ziels 2, Hunger weltweit bis zum Jahr 2030 zu beenden, etabliert. Er beruht im Gegensatz zum klassischen Hunger-Indikator der FAO auf Haushaltsbefragungen und kann damit auch besser unterschiedliche Schweregrade von Hunger und Ernährungsunsicherheit messen. Mit dem diesjährigen SOFI wurden erstmals auch Zahlen zur „moderaten Ernährungsunsicherheit“ (moderate food insecurity) veröffentlicht. Weiterhin bietet der neue Indikator die Möglichkeit, die Daten zu disaggregieren – also nach Geschlecht, Alter, Wohnort etc. aufzuschlüsseln. Dadurch erhofft sich FIAN, dass die zugrundeliegenden Ursachen von Hunger deutlich besser analysiert und die Wirkung politischer Maßnahmen auf marginalisierte Gruppen hergestellt werden können.

Hintergrund zur Weltgetreideernte: Die Weltgetreideernte beinhaltet die Ernte der global bedeutendsten Grundnahrungsmittel Weizen, Mais und Reis. Laut FAO (Food Outlook 5/2019) ist die Weltgetreideernte in den letzten 10 Jahren deutlich von 2,2 auf 2,8 Milliarden Tonnen angestiegen. Auch die Weltgetreidespeicher sind deutlich besser gefüllt, als noch vor 10 Jahren: Der Stand ist von 520 Millionen Tonnen auf 852 Millionen Tonnen gestiegen.

Neue Maastricht-Prinzipien für die Rechte zukünftiger Generationen

Menschenrechte sind zeitlos. Entscheidungen, die heute getroffen werden, haben Auswirkungen auf morgen und beeinflussen die Rechte zukünftiger Generationen. Für diese Verantwortung stellen die Maastricht Prinzipien einen Leitfaden dar. FIAN stellte sie im November erstmals in Österreich vor.

Faktencheck EU-Lieferkettengesetz

Vom "Bürokratiemonster", bis hin zum "Listen-Ansatz" und "Zertifizierungssystemen" – um das EU-Lieferkettengesetz vor der Abstimmung doch noch zu verhindern, wird versucht, die Öffentlichkeit mit irreführenden Argumenten zu beeinflussen. Das breite zivilgesellschaftliche Bündnis der Kampagne “Menschenrechte brauchen Gesetze!” setzt diesen Mythen einen umfassenden Faktencheck entgegen.

Schutz der Rechte zukünftiger Generationen

Menschenrechte sind zeitlos. Entscheidungen, die heute getroffen werden, haben Auswirkungen auf morgen und beeinflussen die Rechte zukünftiger Generationen. Deshalb tragen wir auch eine Verantwortung für zukünftige Generationen. Dafür stellen die Maastricht Prinzipien einen Leitfaden dar.

Hunger.Macht.Profite.12 Tour im Herbst 2023

Braucht es Pestizide, um die Welt zu ernähren? Wie können Genossenschaften dabei helfen, ein demokratisches Agrar- und Lebensmittelsystem aufzubauen - und das auch im Kongo? Was können wir gegen Lebensmittelbetrug tun? Und wie bringen wir den Mut auf, die Machtverhältnisse zu verändern? Das globale Ernährungssystem befindet sich in einer tiefgreifenden Krise. Doch das bedeutet auch eine Chance für Veränderung!

nach oben