Philippinen: „Agrarreform bleibt ein unerfülltes Versprechen“ – Interview mit Joseph Purugganan

Die vorherrschende Meinung sieht drei Hauptgründe für die anhaltenden Ernährungsprobleme: die COVID-Pandemie, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den Klimawandel. Joseph Purugganan hingegen bezeichnet die globale Ernährungskrise als eine Folge der industriellen Landwirtschaft. Purugganan koordiniert das Philippinen-Programm von Focus on the Global South. Die Organisation ist eng verbunden mit sozialen Bewegungen in Asien und entwickelt Konzepte für einen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandel.

 Kundgebung zur Landreform (© Astrud Beringer)

Wie reagiert die philippinische Politik auf die aktuelle Ernährungskrise?

Joseph Purugganan: Auch in den Philippinen drückt sich die Krise in höheren Lebensmittelpreisen aus. Der neu gewählte Präsident Ferdinand Marcos Jr. ist zugleich Landwirtschaftsminister. Das ist eine politische Botschaft: Die Bewältigung der Krise wurde zur Chefsache erklärt. Auch gibt es Bemühungen, das Budget für die Landwirtschaft zu erhöhen. Dafür wurden zwei Programme ins Leben gerufen, die vor allem die Reisproduktion ankurbeln sollen.

Mit welchen Mitteln soll die Produktion gesteigert werden? 

Grundsätzlich ist es zwar gut, dass die Landwirtschaft Aufmerksamkeit bekommt, aber die Lösungsansätze gehen in eine wirtschaftsorientierte Richtung. Die Programme sehen vor allem den Einsatz hybrider Sorten vor. Das ist eine Rückkehr zur Landwirtschaftspolitik von Marcos Sr. in den 1970er Jahren, die Zeit der ‚Grünen Revolution’. Damals wurden die Bäuer*innen vom Einsatz chemischer Mittel abhängig gemacht. Die Folgen sehen wir heute: schlechtere Bodenqualität und die Schwierigkeiten in Bezug auf den Klimawandel.

Ein Kernproblem, das ungelöst bleibt, ist jedoch die Agrarreform. Sie ist ein unerfülltes Versprechen. Das Agrarreformprogramm endete im Jahr 2014, obwohl es landwirtschaftliche Flächen gibt, die noch nicht erfasst worden sind. Es bräuchte
ein neues Gesetz. Entwürfe dazu liegen vor, aber sie fokussieren darauf, wie Land produktiver bewirtschaftet werden kann. Das ist wichtig, aber auch die Umverteilung muss weitergeführt werden. Außerdem werden große Probleme nicht angesprochen: verstärkter Landraub sowie die Umwidmung von landwirtschaftlichen Flächen in Siedlungs- und Tourismusgebiete.

Die Agrarreform von 1988 ist zustande gekommen, weil die Zivilgesellschaft stark dafür mobilisiert hat. Welche Handlungsräume hat sie heute, um politische Entscheidungen zu beeinflussen?

Derzeit ist es sehr schwierig. Landrechtsorganisationen hatten in den vergangenen Jahren mit vielen Bedrohungen zu kämpfen, angefangen mit massivem Landraub bis hin zu Drohungen gegen Bäuer*innen und Landrechtsverteidiger*innen. Vormals starke Bäuer*innenorganisationen, die sowohl auf lokaler als auch auf nationaler politischer Ebene Einfluss nehmen konnten, erleben einen Rückgang an Mitgliedern. Das hat verschiedene Gründe: die Bedrohungen, die Pandemie sowie die verstärkte Militarisierung auf dem Land. Laut einem Bericht von Global Witness gehören die Philippinen zu den tödlichsten Ländern für Umwelt- und Landrechtsaktivist*innen.

Eine weitere Herausforderung ist das vorherrschende Verständnis von Entwicklung. In früheren Diskursen war die Landfrage eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es wurde damit argumentiert, dass jene Bäuer*innen, die Agrarflächen bewirtschaften, diese auch besitzen sollten. Mittlerweile wurde das Argument der sozialen Gerechtigkeit von jenem der Wirtschaftlichkeit ersetzt. Es geht nun mehr darum, wie man den größten Profit erzielen kann: Sollen dafür Agrarflächen erhalten bleiben, oder ist es profitabler, wenn sie anders genutzt werden?

Welchen Einfluss haben internationale Finanzinstitutionen in den Philippinen?

 Viel Aufmerksamkeit wird dem Thema „Innovation in der Landwirtschaft“ gewidmet, etwa neue Technologien, das Internet der Dinge, künstliche Intelligenz oder Digitalisierung. Dahin geht der aktuelle Trend. Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) hat ein Programm zur „Förderung von klimaschonender Landwirtschaft und Produktionssteigerung“ aufgelegt. Bäuer*innen hingegen fordern unverändert eine Agrarreform und finanzielle Unterstützung.

Das heißt, diese Innovationen gehen an den Lebensrealitäten der Kleinbäuer*innen vorbei?

Die große Herausforderung ist die Frage, ob Innovationen und neue Technologien jene Nahrung produzieren können, die wir brauchen. Und was wird mit den Kleinbäuer*innen? Seit so vielen Jahren sind es kleinbäuerliche Betriebe, die die Welt ernähren. Dennoch liegt der Fokus auf den Interessen weniger großer Konzerne.

Ich glaube, wenn man ihnen die Chance und die Unterstützung gibt, können die Bäuer*innen sehr wohl neue Technologien nutzen, um ihre Produktion und ihren Lebensunterhalt zu verbessern. Dazu müssen die Technologien aber tatsächlich in ihren Händen liegen und nicht in jenen der großen Konzerne.

Gibt es dafür Ansätze?

Nein. Mehr Produktion, aber mit weniger Ressourcen – das ist die vorherrschende Idee. Dafür sind große Agrarflächen nötig, was ein Argument gegen die Umverteilung im Rahmen einer Agrarreform darstellt. Anstatt Land umzuverteilen, bräuchte man laut diesem Modell nur bestehende Agrarflächen produktiver zu machen – mit dem Einsatz von Gentechnik oder mittels Digitalisierung. Das ist nicht im Interesse der kleinbäuerlichen Betriebe, sondern fördert die industrielle Landwirtschaft.

Internationale Finanzinstitutionen sprechen viel von „klimafreundlichen Investitionen“. Ist das alles nur greenwashing?

Die aktuelle Politik ist stark wirtschaftsorientiert. Beispielsweise wurde in den Philippinen ein Beratungsgremium ins Leben gerufen, das große Konzerne als Partner vorsieht. Für den Bereich Ernährung etwa soll ein Immobilienkonzern beratend tätig werden. Grob betrachtet, stimme ich der Aussage zu, dass die Rede von Investitionen in klimaschonende Landwirtschaft wirklich nur greenwashing ist und die aktuelle Politik eher dazu dient, die Tore für Konzerninteressen zu öffnen.

Welche Lösungen und Forderungen gibt es von Seiten der Zivilgesellschaft?

Zum einen geht es darum, die Liberalisierung der Wirtschaft abzuwehren. Zum anderen haben alte Forderungen weiterhin Gültigkeit: staatliche Unterstützung für die Landwirtschaft, die Weiterführung der Agrarreform, Infrastruktur wie Straßen oder  Bewässerungssysteme. Doch statt ihnen nachzugehen, hat die Regierung über Jahre hinweg die Landwirtschaft vernachlässigt. Jetzt ist Landwirtschaft wieder in den Fokus gerückt – was gut ist, aber auch Gefahren birgt. Denn wie auf der globalen Ebene, wo von einer Transformation des Ernährungssystems die Rede ist, stellt sich die Frage: In wessen Interesse findet diese statt?

Der Grund, warum die Philippinen so anfällig für steigende Lebensmittelpreise sind, ist in den politischen Entscheidungen zu finden. Hier gab es im Gegensatz zu anderen Ländern keine Schutzmaßnahmen, wie Preiskontrollen oder Barrieren für billige Importe. Die Abhängigkeit von Importen ist nun ein großes Problem. Die Lösung würde darin liegen, die lokale Produktion zu fördern. Aber wie kann das gehen, wenn Agrarflächen aufgrund von Umwidmungen schrumpfen? Wie kann das gehen, wenn die Agrarreform nur unvollständig umgesetzt worden ist? Die Philippinen sind landwirtschaftlich geprägt. Viele Bäuer*innen sind auf ihr Land angewiesen, um zu überleben. Unsere Abhängigkeit von Importen wird die Ernährungskrise nicht lösen. Sie macht uns erst recht anfällig dafür.

ragen: Marina Wetzlmaier, Journalistin für Print und Radio mit den Schwerpunkten soziale Bewegungen, Menschenrechte, Migration und Philippinen: wetzlmaier.wordpress.com. Der Originalbeitrag erschien in der Ausgabe „Entwicklung für wen?“ des Online-Magazins südostasien und wurde für FoodFirst leicht gekürzt und redaktionell angepasst.

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