Kambodscha: Blutzucker führt zu Vertreibung

Viele Jahre lang führte die EU-Handelsinitiative „Alles außer Waffen“ in Kambodscha zu großflächigem Landgrabbing für den Zuckerrohranbau. Tausende wurden vertrieben. Kampagnen von Menschenrechtsorganisationen, darunter FIAN, führten zur Aberkennung der Handelspräferenz für das südostasiatische Land.

Vertreibung von Gemeinden für Zuckerrohrplantage ©ADHOC

 

Begleitet von bewaffneten Soldaten fuhren im Februar 2010 Bulldozer in das kleine Dorf Pis in der kambodschanischen Provinz Kampong Speu. Die Anwohner:innen wussten nicht, wie ihnen geschah. „Zunächst verstand ich nicht, was vor sich ging. Erst ein paar Tage, bevor sie unser Land räumten und uns aus unseren Häusern vertrieben, hörten wir von der Landkonzession für den Zuckerrohranbau“, berichtete eine Dorfbewohnerin. Ein anderer Bauer berichtete, er habe erst am Räumungstag von der Konzession erfahren.

Die Bulldozer zerstörten das gesamte Dorf. Die Bauernfamilien wurden auf steinige Grundstücke am Fuße des naheliegenden Berges zwangsumgesiedelt. Dort leben viele bis heute unter ärmlichsten Bedingungen. Wo früher ihr Dorf, ihre Reisfelder und die Gemeindewälder von 15 Dörfern waren, entstanden riesige Zuckerrohrplantagen. Der dort angebaute Zucker wurde anschließend in die Europäische Union exportiert.

 

Prekäre Arbeit, Schulden und Hunger

Die Vertreibung in Kampong Speu war kein Einzelfall. Zwischen 2006 und 2012 kam es in vielen Regionen Kambodschas zu Landnahmen durch Zuckerunternehmen. Die kambodschanische Regierung verpachtete in diesem Zeitraum mehr als 150.000 Hektar Land an lokale und internationale Agrarkonzerne in Form sogenannter „ökonomischer Landkonzessionen“, um Zuckerrohrplantagen anzulegen.

Mindestens 5.500 Familien aus vier Provinzen waren hiervon betroffen, darunter auch indigene Kuy in der Provinz Preah Vihear. In der Provinz Koh Kong beschossen Sicherheitskräfte 2006 bei einer Räumung von 250 Familien aus der Gemeinde Chi Kor Leu mehrere Dorfbewohner:innen. Ein Aktivist der Gemeinde Chi Kor Leu, der die Vertreibung dokumentiert hatte, wurde einige Monate später ermordet aufgefunden.

Mit den Vertreibungen stürzten die Behörden die Bauernfamilien in bittere Armut. Nach dem Verlust ihrer Gemeindewälder und Ackerflächen, von denen sie sich selbst ernähren konnten, sind viele heute von prekärer Saisonarbeit auf Plantagen oder Arbeitsmigration in die Städte und Nachbarländer abhängig. Eine Studie von lokalen Menschenrechtsorganisationen aus dem Jahr 2021 zeigt: 80 bis 90 Prozent der Haushalte in den betroffenen Gemeinden sind verschuldet. In mehreren Dörfern liegt die durchschnittliche Haushaltsverschuldung bei 4.000 bis 5.000 US-Dollar. Diese massive finanzielle Belastung verschärft Probleme wie die Ernährungsunsicherheit weiter. 

 

Die Gemeinden wehren sich

Seit den Vertreibungen vor inzwischen über zehn Jahren kämpfen die Gemeinden unermüdlich für ihre Landrechte und für Wiedergutmachung. Zudem versuchen die Betroffenen, unterstützt von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die beteiligten Unternehmen und deren internationale Finanzgeber zur Rechenschaft zu ziehen. Die Behörden reagieren darauf oft, indem sie Gemeindevertreter:innen einschüchtern und kriminalisieren. Und die Zuckerunternehmen erkaufen sich regelmäßig das Schweigen einzelner Betroffener.

2010 organisierte FIAN eine Reise von Betroffenen aus der Provinz Kampong Speu nach Deutschland. Es gab eine Anhörung im Bundestag, und das ARD-Fernsehmagazin Report Mainz berichtete dazu. Daraufhin zog sich beispielsweise die in die Zuckerkonzessionen verwickelte Deutsche Bank aus ihrer Beteiligung an einem Zuckerkonzern zurück.

Gemeinden und Menschenrechtsorganisationen reichten 2014 bei der australischen Regierung eine Beschwerde gegen die australische Bank ANZ ein. Auch sie finanzierte von 2011 bis 2014 kambodschanische Zuckerkonzerne. Die Argumentation der Kläger: Die Bank verletze die Leitsätze für Multinationale Unternehmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Beschwerde war erfolgreich: 2020 zahlte die ANZ finanzielle Entschädigungen an 1.096 Familien.

Eine weitere OECD-Beschwerde gab es 2019 gegen den britischen Zertifizierer Bonsucro. Dieser hatte es unterlassen, den thailändischen Zuckerriesen Mitr Phol für dessen Menschenrechtsverstöße bei Vertreibungen in der Provinz Oddar Meanchay zur Rechenschaft zu ziehen. Im Januar 2022 urteilte die britische OECD-Stelle: Bonsucro missachtete die OECD-Richtlinien und kam seinen Sorgfaltspflichten nicht nach. Eine Einigung konnte aber nicht erzielt werden. Gegen Mitr Phol reichten die Betroffenen in einem separaten Verfahren eine Sammelklage bei der thailändischen Justiz ein. Das Gerichtsverfahren soll voraussichtlich in diesem Jahr beginnen.

 

EU-Initiative als Triebfeder

Die Handelsinitiative „Alles außer Waffen“ (EBA) ermöglicht es den am wenigsten entwickelten Ländern, Produkte zoll- und quotenfrei in den europäischen Binnenmarkt zu exportieren – seit 2009 auch Zucker. Das Handelspräferenzsystem hat laut EU „die nachhaltige Entwicklung in Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in den Entwicklungsländern“ zum Ziel. Damals lagen die Zuckerpreise in der EU deutlich über dem Weltmarktpreis. Arme Länder wie Kambodscha hatten einen ökonomischen Anreiz, Zucker für den Export in die EU anzubauen.

Der kausale Zusammenhang zwischen der Initiative EBA und den Zuckerrohrplantagen in Kambodscha ist unbestritten: Vor 2009 gab es dort keine Zuckerindustrie. 2008 exportierte das Land Zucker im Wert von 28.000 US-Dollar in die Europäische Union. Nur fünf Jahre später lag dieser Wert bereits bei 51 Millionen US-Dollar. Mehrere an den Zuckerrohrplantagen beteiligte Konzerne gaben selbst an, dass die EU-Handelsinitiative eine Hauptmotivation für ihren Landerwerb war. Die Landnahme wurde durch die Zollbefreiung letztlich belohnt, EBA spülte den Zuckerinvestoren weit über zehn Millionen Euro an zusätzlichen Gewinnen in die Kassen.

 

Reaktion erst auf Druck der Zivilgesellschaft

Seit 2010 haben die von Zuckerkonzessionen betroffenen Gemeinden und Menschenrechtsorganisationen die Europäische Union wiederholt dazu aufgerufen, die in der Richtlinie „Alles außer Waffen“ vorgesehene Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen einzuleiten. Auch das Europaparlament forderte dies. Doch die EU wies viele Jahre die menschenrechtlichen Probleme ihrer Handelspolitik zurück. Unter anderem erkannte sie die umfassenden Berichte nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen nicht offiziell an.

Nach anhaltendem Druck vereinbarte die Europäische Kommission 2014 einen abgeschwächten „Audit-Prozess“ der Zuckerkonzessionen mit der kambodschanischen Regierung. Diese verschleppte den Prozess jedoch immer wieder. 2016 endete er ergebnislos. Nach dem Scheitern starteten die kambodschanischen Behörden 2017 einen eigenen Untersuchungsprozess, der allerdings nicht internationalen Standards entsprach.

2018 kündigte die Europäische Kommission an, sie ziehe eine Überprüfung des kambodschanischen EBA-Abkommens jetzt doch in Betracht. Hintergrund waren das Verbot der größten Oppositionspartei und die zunehmende Unterdrückung der Zivilgesellschaft sowie unabhängiger Medien. Im Februar 2019 begann die Kommission das Verfahren zur Rücknahme der EBA-Präferenzen aufgrund systematischer Verletzungen politischer und ziviler Rechte, dabei untersuchte sie auch die Landkonflikte im Zuckersektor und Verletzungen von Arbeiter:innenrechten in der Textilindustrie. Die kambodschanische Regierung versuchte daraufhin fieberhaft – jedoch unsystematisch –, Landkonflikte zu lösen. Sie schüchterte in einigen Gemeinden Familien ein und bedrohte sie, damit diese inadäquate Entschädigungen akzeptieren.

Am 12. Februar 2020 – deutlich über zehn Jahre nach den ersten Vertreibungen – entschied die EU, die Handelsinitiative mit Kambodscha teilweise auszusetzen. Diese Entscheidung hat bis heute Bestand. Die Erfahrungen in Kambodscha haben jedoch strukturelle Probleme sichtbar gemacht: Zum einen ist die Hürde für ein Handeln der Europäischen Kommission selbst bei systematischen Menschenrechtsverletzungen derart hoch, dass diese erst nach vielen Jahren eine Untersuchung einleitet. Die Handelsinitiative ist zum anderen blind gegenüber den negativen Auswirkungen, zu denen sie wie im Fall der Zuckerkonzessionen selbst beiträgt. Die EU muss deutlich mehr tun und ihren Teil leisten, damit die Landkonflikte in Kambodscha nach all den Jahren endlich gelöst werden – und weitere Menschenrechtsverletzungen vermieden werden.

 

Eang Vuthy ist Executive Director der Nichtregierungsorganisation Equitable Cambodia mit Sitz in Phnom Penh. Seine Organisation setzt sich seit Jahren für die Land- und Wohnrechte der kambodschanischen Bevölkerung ein. Mathias Pfeifer arbeitet als Südostasien-Referent bei FIAN Deutschland.

Wider die falschen Antworten der grünen Gentechnik: Sozial-Ökologische und Feministische Bewegungen im Kampf für Ernährungssouveränität

Erneut werden Debatten um die Wirksamkeit der grünen Gentechnik zur Bekämpfung des Welthungers geführt. Erfahrungen in Indien zeigen jedoch, dass rein technische Ansätze die Probleme nicht lösen. Tatsächlich sind vielfältige, lokal angepasste Nahrungssysteme weit besser in der Lage, eine gesunde Ernährung zu ermöglichen. Angesichts der herrschenden Machtverhältnisse müssen Lebensweisen hin zu Ernährungssouveränität, Landrechten, demokratischem Zugang zur Nahrungserzeugung und intersektionale Geschlechtergerechtigkeit aktiv erkämpft werden.

 

Oikocredit: Mediation über Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor ohne Einigung

Am 24.1. scheiterte die Mediation zwischen des drei NGOs und Oikocredit. Die Mediation war nach einer OECD-Beschwerde bei der niederländischen Nationalen Kontaktstelle (NKS) im Dezember 2022 wegen Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor eingeleitet worden. Die drei NGOs FIAN Deutschland, Euqitable Cambodia und LICADHO haben dazu eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht. 

Sri Lanka-Nahrungskrise und Sparprogramme

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FIAN-Partner fördern Agrarökologie

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Recherchereise in Indonesien: Widerstand gegen Geothermie-Kraftwerk auf der Insel Flores

Anfang März besuchte der FIAN Deutschland-Südostasienreferent indigene Gemeinden auf der Insel Flores. Diese sind von negativen Auswirkungen eines Geothermie-Kraftwerks betroffen, darunter Landkonflikte, Ernteeinbrüche sowie erhöhte Gefahr von Erdrutschen. Das von der deutschen KfW Entwicklungsbank finanzierte Kraftwerk soll nun nochmals erweitert und vergrößert werden. Die indigenen Gemeinden lehnen dies entschieden ab. Ihr Widerstand gegen das Projekt wird mit Einschüchterung und Polizeigewalt beantwortet.

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