Ernährungsräte im Aufschwung: Gutes Essen für alle!

Essen in der Stadt gemeinsam, demokratisch gestalten

(Titelbild: ID 25998547 © Vvoevale | Dreamstime.com)

Wien, 20.2.2019 Die Konzentration von Anbau, Verarbeitung und Verteilung von Lebensmitteln durch wenige große Agrar- und Lebensmittelkonzerne nimmt stetig zu. Dieser Entwicklung stellen sich nun auch in Österreich zunehmend Ernährungsräte auf städtischer Ebene entgegen. Eine neue Broschüre von FIAN Österreich und dem Ernährungsrat Wien gibt einen Überblick über den Ursprung, die Ziele und Merkmale von Ernährungsräten sowie ihren Einfluss auf eine demokratische Lebensmittelpolitik.

Ernährungsräte als Gegenentwurf zum globalisierten Ernährungssystem
Ernährungsräte (englisch Food Policy Councils) streben eine Relokalisierung des globalisierten Ernährungssystems an. „Die gemeinsame Vision von Ernährungsräten ist, dass städtische Ernährungssysteme jedem Mensch Zugang zu nahrhaftem, gesundem, regionalem und kulturell angemessenem Essen ermöglichen. Dieses soll nachhaltig, sprich nicht auf Kosten von Mensch und Umwelt, produziert und verarbeitet werden. Ernährungsräte unterstützen die Menschen darin, über ihre Ernährung selbst zu bestimmen und das Ernährungssystem individuell und gemeinschaftlich mitzugestalten. Dadurch tragen Ernährungsräte zu einer Demokratisierung der Lebensmittelpolitik bei“, so Charlotte Kottusch, Mitinitiatorin des Ernährungsrats Wien.

Verknüpfung Stadt und Land
„Durch einen aktiven Dialog zwischen Politik, Verwaltung, Erzeuger*innen, Vertrieb und Verbraucher*innen können innovative und sektorenübergreifende Lösungswege ausgearbeitet und als Vorschläge in die öffentliche Debatte eingebracht werden. Ernährungsräte ermöglichen gemeinschaftliches politisches Handeln, indem sie unterschiedliche Expertisen an einen Tisch holen und in den politischen Prozess einbringen“, so Brigitte Reisenberger, Geschäftsleiterin von FIAN Österreich. Bei der Zusammensetzung wird besonders darauf geachtet, dass unterschiedlichste Akteur*innen wie unter anderem zivilgesellschaftliche Vertreter*innen, Gastronom*innen oder Erzeuger*innen mit am Tisch sitzen. Auch verschiedenste Themenbereiche wie das Recht auf Nahrung, Bildung und Bewusstseinsbildung sind Teil des Ernährungsrats. „Die Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung sollen in Ernährungsräten mit denen der (klein)bäuerlichen Erzeuger*innen und den Zielen nachhaltiger räumlicher Planung zusammengedacht und zusammengebracht werden“, so Reisenberger weiter. Der Ansatz der Ernährungsräte schafft so eine Verknüpfung zwischen Stadt und Land und stärkt die Entwicklung einer ganzheitlichen und disziplinübergreifenden Annäherung an die Probleme in den jeweiligen Ernährungssystemen.

Ernährungsrat Wien: Gutes Essen für alle
Seit dem Jahr 2016 wurden auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Ernährungsräte gegründet – den Anfang machten Köln und Berlin. In Österreich besteht bereits ein Ernährungsrat in Innsbruck und auch in Graz besteht Interesse. Der Wiener Ernährungsrat wurde erst kürzlich im November 2018 gegründet. In ihm verfolgt eine Initiativgruppe von rund 15 Personen aus Forschung und Gastronomie, Lebensmittelwirtschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen ein gemeinsames Ziel. „Durch den Aufbau des Ernährungsrates wollen wir zu einem ökologisch zukunftsfähigen und sozial gerechten Ernährungssystem für Wien und Umgebung beitragen“, so Charlotte Kottusch vom Ernährungsrat Wien. Dafür wird daran gearbeitet, Strukturen zu etablieren, die den Aufbau und Erhalt der Gestaltungsspielräume innerhalb des Wiener Ernährungssystems langfristig sicherstellen sollen. „Faire Arbeitsbedingungen und gute Perspektiven für die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen sind uns also genauso wichtig wie mehr ökologisch und sozial gerecht produzierte Lebensmittel aus der Region etwa in Schulen, Krankenhäusern oder auf Märkten. Dass diese Lebensmittel nicht nur einigen wenigen, sondern bedingungslos allen Menschen zugänglich sind, gilt es genauso zu berücksichtigen, wie die Auswirkungen der Ernährung auf das Klima“, so Kottusch. Daher liegt ein Fokus auch auf den Stadt-Umland-Beziehungen, die die zunehmende Trennung zwischen Erzeuger*innen und Konsument*innen in der Stadt überwinden und die Bedürfnisse beider Seiten und aller anderen Beteiligten einbeziehen sollen. Alle, die den Wandel hin zu einem zukunftsfähigen Ernährungssystem aktiv gestalten wollen, sind zur Mitarbeit in ersten Projekten und im Prozess der Entwicklung einer gemeinsamen Ernährungsstrategie eingeladen.

Ernährungsräte weltweit: USA und Brasilien
Ernährungsräte sind in den 1980er Jahren in den USA entstanden, wo es heute weit über 200 solcher Initiativen gibt. Aber auch in vielen anderen Teilen der Welt haben sie sich etabliert. Der „Milan Urban Food Policy Pact“ (deutsch: Pakt von Mailand zur urbanen Ernährungspolitik) von 2015 bekräftigt die Rolle und Verantwortung der lokalen Gemeinden in der Umsetzung des Rechts auf Nahrung und Ernährung. Der Pakt fordert insbesondere die direkte Beteiligung der Zivilgesellschaft und kleinerer Produzent*innen an Entscheidungsprozessen durch Ernährungsräte. Über 180 Städte weltweit, darunter auch Wien, haben den Pakt unterzeichnet.

Doch es gibt auch Gegenwind zu diesen positiven Entwicklungen. Am 1. Januar 2019 – am ersten Tag seiner Amtszeit – löste der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro den Nationalen Rat für Ernährungssicherheit (CONSEA) auf. Damit wurde ausgerechnet die Instanz abgeschafft, welche seit 2006 erheblich zur Hungerbekämpfung in Brasilien beigetragen hatte. Durch die Erfolge des CONSEA konnte das Land 2014 aus der „FAO Hunger Map“ gestrichen werden. Der CONSEA bündelte den Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Regierung, um eine gesunde Ernährung der gesamten Bevölkerung zu gewährleisten. Für den Erhalt von CONSEA wurde eine Petition gestartet, die bis Februar 2019 über 30.000 Menschen unterzeichnet haben.

Rückfragen:
Ernährungsrat Wien: Charlotte Kottusch, kontakt@ernaehrungsrat-wien.at
FIAN Österreich: Brigitte Reisenberger, brigitte.reisenberger@fian.at, 01 23 50 23 9 13

Broschüre: Ernährungsräte: Auf dem Weg zu einer demokratischen Lebensmittelpolitik (FIAN Österreich/Ernährungsrat Wien, Februar 2019)
Ernährungsrat Wien
Milan Urban Food Policy Pact
Petition CONSEA Brasilien

Wider die falschen Antworten der grünen Gentechnik: Sozial-Ökologische und Feministische Bewegungen im Kampf für Ernährungssouveränität

Erneut werden Debatten um die Wirksamkeit der grünen Gentechnik zur Bekämpfung des Welthungers geführt. Erfahrungen in Indien zeigen jedoch, dass rein technische Ansätze die Probleme nicht lösen. Tatsächlich sind vielfältige, lokal angepasste Nahrungssysteme weit besser in der Lage, eine gesunde Ernährung zu ermöglichen. Angesichts der herrschenden Machtverhältnisse müssen Lebensweisen hin zu Ernährungssouveränität, Landrechten, demokratischem Zugang zur Nahrungserzeugung und intersektionale Geschlechtergerechtigkeit aktiv erkämpft werden.

 

Oikocredit: Mediation über Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor ohne Einigung

Am 24.1. scheiterte die Mediation zwischen des drei NGOs und Oikocredit. Die Mediation war nach einer OECD-Beschwerde bei der niederländischen Nationalen Kontaktstelle (NKS) im Dezember 2022 wegen Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor eingeleitet worden. Die drei NGOs FIAN Deutschland, Euqitable Cambodia und LICADHO haben dazu eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht. 

Sri Lanka-Nahrungskrise und Sparprogramme

Eine der jüngsten und zugleich sehr aktiven FIAN-Sektionen befindet sich in Sri Lanka. Das südasiatische Land wurde im vergangenen Jahr von einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert, mit verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Viele Haushalte haben sich verschuldet, um die steigenden Preise für Lebensmittel, Medikamente und Kraftstoffe zahlen zu können. FIAN Sri Lanka setzt sich für die Rechte von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, Bäuerinnen und Bauern sowie Fischer:innen ein und kooperiert hierbei auch mit Behörden. Sabine Pabst (FIAN International) sprach mit dem Geschäftsführer Thilak Karyawasam und dem Vorstandsvorsitzenden Sathivel Visvalingam.

FIAN-Partner fördern Agrarökologie

Die indonesische Bauerngewerkschaft SPI unterstützt ihre Mitglieder bei der Umstellung auf Agrarökologie. Die steigenden Preise für Düngemittel und Pestizide machen diesen Schritt für mehr und mehr Landwirte attraktiv. FIAN Deutschland-Referent Mathias Pfeifer und FIAN Deutschland-Geschäftsführer Philipp Mimkes besuchten zwei Schulungszentren, in denen der ökologische Anbau, die Eigenproduktion von Düngemitteln sowie Vertriebskonzepte vermittelt werden. Dank hoher Erträge können die Bäuerinnen und Bauern selbst auf kleinsten Parzellen erfolgreich wirtschaften.  

 

Recherchereise in Indonesien: Widerstand gegen Geothermie-Kraftwerk auf der Insel Flores

Anfang März besuchte der FIAN Deutschland-Südostasienreferent indigene Gemeinden auf der Insel Flores. Diese sind von negativen Auswirkungen eines Geothermie-Kraftwerks betroffen, darunter Landkonflikte, Ernteeinbrüche sowie erhöhte Gefahr von Erdrutschen. Das von der deutschen KfW Entwicklungsbank finanzierte Kraftwerk soll nun nochmals erweitert und vergrößert werden. Die indigenen Gemeinden lehnen dies entschieden ab. Ihr Widerstand gegen das Projekt wird mit Einschüchterung und Polizeigewalt beantwortet.

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