Entfremdung von Mensch und Natur: zentraler Faktor für Hunger- und Umweltkrisen

Brot für die Welt und FIAN legen Jahrbuch zum Recht auf Nahrung vor

Welternährung, Klimagerechtigkeit, Menschenrechte und der Schutz der Biodiversität gehören zusammen. Die evangelische Aktion für Entwicklungszusammenarbeit Brot für die Welt und die Menschenrechtsorganisation FIAN legen zum morgigen Welternährungstag das „Jahrbuch zum Recht auf Nahrung“ vor. Darin beleuchten sie die Ursachen von Umweltzerstörung, Hunger und Ausbeutung und stellen Handlungsalternativen vor. Gleichzeitig fordern sie von der Bundesregierung eine Kehrtwende bei der Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung.

„Die industrielle Landwirtschaft ist mit dem Versprechen angetreten, den Hunger zu besiegen. Doch die Zahl der Menschen, die an Hunger leiden, steigt seit fünf Jahren kontinuierlich an – trotz stark wachsender Agrarproduktion“, sagt Aleksandra Kolodziejczyk, Referentin bei Brot für die Welt. „Parallel dazu wird unsere Ernährung immer einseitiger. Nur drei Pflanzen – Mais, Reis und Weizen – sichern heute 60 Prozent der weltweiten pflanzlichen Kalorien und Proteine.“ Das neue Jahrbuch legt dar, wie dies zusammenhängt: die Zunahme des Hungers mit dem Klimawandel, mit dem Verlust der Biodiversität, mit der Verbreitung von Infektionskrankheiten wie Zoonosen – und dies wiederum mit der Verdrängung der bäuerlichen Landwirtschaft durch die industrielle Agrarproduktion.

Getrennte Regulierungssysteme für Mensch und Natur blockieren ganzheitliche Lösungsansätze

Ein großes Problem bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen: Mensch und Natur werden immer weniger zusammen gedacht. Die Menschenrechtspakte schweigen sich weitgehend über Umweltfragen aus, und die UN-Umweltabkommen zu Biodiversität und Klima äußern sich nicht zu Menschenrechten. „Mit Blick auf die 2021 anstehenden UN-Konferenzen zu Ernährung, Biodiversität und Klima besteht die Chance, diese Kluft zu überwinden. Die Bundesregierung muss sich an den Bedürfnissen marginalisierter Bevölkerungsgruppen in den Ländern des Südens orientieren und diese bei der Vorbereitung der Gipfel substantiell einbinden“, so Tina Wirnsberger von FIAN Österreich.

„Wenn wir das Recht auf Nahrung umsetzen wollen und Ernährung ausgewogen gestalten wollen, müssen wir die Ernährungssysteme in Richtung Agrarökologie entwickeln. So erhalten wir die Vielfalt der Sorten, und die Landwirtschaft kann sich besser an die Folgen des Klimawandels anpassen“, sagt Kolodziejczyk. „Hierfür müssen die Rechte von Bauern, indigenen Völkern und all jenen Gemeinschaften, die sich um lokale Ökosysteme kümmern und mittels der Agrarökologie nachhaltig Nahrungsmittel produzieren, im Mittelpunkt stehen“, ergänzt Wirnsberger. Kleinbäuerinnen und -bauern und Indigene sind Vorreiter eines solchen Wandels, denn sie produzieren jetzt schon bis zu 80 Prozent der Lebensmittel im globalen Süden, obwohl sie nur über 25 Prozent der Agrarfläche verfügen.

Das Jahrbuch fordert eine grundsätzliche Umgestaltung der Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, verteilen und konsumieren - aber auch, wie wir uns kollektiv gegen die Ausbeutung der Natur wehren. Notwendig ist eine viel engere Zusammenarbeit der Bewegungen für Klimagerechtigkeit, Ernährungssouveränität und Menschenrechte.

Hinweise für Redaktionen:

Das aktuelle Jahrbuch zum Recht auf Nahrung – der Right to Food and Nutrition Watch – mit dem diesjährigen Titel „Overcoming Ecological Crises: Reconnecting Food, Nature and Human Rights” wird bei der Aktionswoche des Welternährungsrats (Committee on World Food Security, CFS) in Rom offiziell vorgestellt. Es erscheint in englischer, französischer, portugiesischer und spanischer Sprache, die Autorinnen und Autoren sind Teil des Global Network for the Right to Food and Nutrition. Diesem Netzwerk gehören 49 Organisationen aus aller Welt an.

Eine gedruckte Ausgabe senden wir gerne zu. Sie können das Jahrbuch hier abrufen: https://www.righttofoodandnutrition.org/files/rtfn_watch12-2020_eng.pdf

Hintergrund
 

  • 23 % des globalen Ausstoßes von Treibhausgasen sind auf die Landwirtschaft zurückzuführen.
     
  • Nach Angaben der UN könnten durch die COVID-Pandemie 132 Millionen Menschen zusätzlich akuter Hungersnot ausgesetzt sein.
     
  • Unsere Ernährung wird immer einseitiger und stärker der industrielle Produktion angepasst: Nur drei Pflanzen – Mais, Reis und Weizen – bilden heute die Grundlage für 60% der pflanzlichen Kalorien und Proteine.
     
  • Nur noch 4 % der etwa 300.000 essbaren Pflanzen nutzt der Mensch tatsächlich für die Ernährung.
     
  • Kleinbauern und Kleinbäuerinnen bewirtschaften nur etwas 25% des Agrarlandes weltweit. Sie produzieren jedoch im Globalen Süden bis zu 80 % der Nahrungsmittel.



Rückfragen:

Tina Wirnsberger, FIAN Österreich, tina.wirnsberger@fian.at

Martina Mathe, Brot für die Welt Österreich, 01 4026764-1110, m.mathe@brot-fuer-die-welt.at

"Die Agrarreform bleibt ein unerfülltes Versprechen"

Die vorherrschende Meinung sieht drei Hauptgründe für die anhaltenden Ernährungsprobleme: die Covid-Pandemie, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den Klimawandel. Joseph Purugganan hingegen bezeichnet die globale Ernährungskrise als Folge der industriellen Landwirtschaft. Purugganan koordiniert das Philippinen-Programm von Focus on the Global South. Die Organisation ist eng verbunden mit sozialen Bewegungen in Asien und entwickelt Konzepte für einen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandel.

Oikocredit: Mediation über Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor ohne Einigung

Am 24.1. scheiterte die Mediation zwischen des drei NGOs und Oikocredit. Die Mediation war nach einer OECD-Beschwerde bei der niederländischen Nationalen Kontaktstelle (NKS) im Dezember 2022 wegen Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Mikrofinanzsektor eingeleitet worden. Die drei NGOs FIAN Deutschland, Euqitable Cambodia und LICADHO haben dazu eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht. 

Sri Lanka-Nahrungskrise und Sparprogramme

Eine der jüngsten und zugleich sehr aktiven FIAN-Sektionen befindet sich in Sri Lanka. Das südasiatische Land wurde im vergangenen Jahr von einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert, mit verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Viele Haushalte haben sich verschuldet, um die steigenden Preise für Lebensmittel, Medikamente und Kraftstoffe zahlen zu können. FIAN Sri Lanka setzt sich für die Rechte von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, Bäuerinnen und Bauern sowie Fischer:innen ein und kooperiert hierbei auch mit Behörden. Sabine Pabst (FIAN International) sprach mit dem Geschäftsführer Thilak Karyawasam und dem Vorstandsvorsitzenden Sathivel Visvalingam.

FIAN-Partner fördern Agrarökologie

Die indonesische Bauerngewerkschaft SPI unterstützt ihre Mitglieder bei der Umstellung auf Agrarökologie. Die steigenden Preise für Düngemittel und Pestizide machen diesen Schritt für mehr und mehr Landwirte attraktiv. FIAN Deutschland-Referent Mathias Pfeifer und FIAN Deutschland-Geschäftsführer Philipp Mimkes besuchten zwei Schulungszentren, in denen der ökologische Anbau, die Eigenproduktion von Düngemitteln sowie Vertriebskonzepte vermittelt werden. Dank hoher Erträge können die Bäuerinnen und Bauern selbst auf kleinsten Parzellen erfolgreich wirtschaften.  

 

Recherchereise in Indonesien: Widerstand gegen Geothermie-Kraftwerk auf der Insel Flores

Anfang März besuchte der FIAN Deutschland-Südostasienreferent indigene Gemeinden auf der Insel Flores. Diese sind von negativen Auswirkungen eines Geothermie-Kraftwerks betroffen, darunter Landkonflikte, Ernteeinbrüche sowie erhöhte Gefahr von Erdrutschen. Das von der deutschen KfW Entwicklungsbank finanzierte Kraftwerk soll nun nochmals erweitert und vergrößert werden. Die indigenen Gemeinden lehnen dies entschieden ab. Ihr Widerstand gegen das Projekt wird mit Einschüchterung und Polizeigewalt beantwortet.

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