Ohne Land und ohne Geld - Reportage Sierra Leone
Im Norden des Landes wurden für ein Projekt des Schweizer Unternehmens Addax BioEnergy riesige Flächen Land für den Zuckerrohranbau zur Produktion von Bioethanol verpachtet, hauptsächlich für den Export nach Europa. FIAN Österreich arbeitet bereits seit 2013 zu diesem Fall.
Anfang April traten Ralf Leonhard, Fallarbeitsbeauftragter im Vorstand von FIAN Österreich und Brigitte Reisenberger, Geschäftsleiterin von FIAN Österreich, eine Recherchereise nach Sierra Leone an.
Die Bioethanolproduktion von Addax gilt als Vorzeigeprojekt. Zahlreiche europäische Entwicklungsbanken haben dieses Projekt mit Krediten oder Zuschüssen unterstützt. Auch die Österreichische Entwicklungsbank, die im Jahre 2010 einen Zehn-Millionen-Euro-Kredit in den Emerging African Infrastructure Fund einzahlte, der bei verschiedenen europäischen Entwicklungsbanken Geld einsammelte und damit die Anschubfinanzierung für das Addax-Projekt in Sierra Leone leistete.
Addax fasst Fuß in Sierra Leone
Addax BioEnergy ist eine Tochter von AOG, einer Ölfirma in Genf. Konzernchef Jean Claude Gandur ist Multimilliardär. Er kannte Sierra Leones Präsident Ernest Bai Koroma aus dem Ölgeschäft und wurde eingeladen, die günstigen Investitionsbedingungen des kleinen westafrikanischen Landes zu nützen. Als eines der am wenigsten entwickelten Länder genießt es auch Zollprivilegien für den Export in die Europäische Union, die damals eine zehnprozentige Beimischungsquote für Agrotreibstoffe angepeilt hatte. Addax schickte also seine Leute, flankiert von wortgewandten Anwälten nach Sierra Leone, die mit der Regierung und den regionalen Verwaltungsbehörden, den Bezirksräten und Chiefdoms in Gespräche eintraten. Man schrieb das Jahr 2009. Zuletzt wurden auch die betroffenen Gemeinden informiert. Die Botschaft lautete, so erinnert sich Bafudi Kamara, Ortsvorsteher von Kolisoko, der Staatspräsident wünsche, dass man das Land an Addax verpachte. In anderen Dörfern schildert man den Druck noch drastischer. Selbst ein Parlamentsabgeordneter sei ins Dorf gekommen und habe mitten in der Nacht gebrüllt: „Wenn ihr das jetzt nicht unterschreibt, dann geht es euch schlecht“. Man sei daran gewöhnt, den Wunsch der übergeordneten Stellen zu befolgen, sagt Bafudi. Also habe man unterschrieben. Noch bevor der Vertrag aufgesetzt war, hatte Addax die erste Plantage für Zuckerrohrsetzlinge auf dem Gebiet der Gemeinde Lungi Acre angelegt. Dann ging es zügig an die Arbeit: Wäldchen wurden abgeholzt, Bäche zugeschüttet, Unebenheiten planiert, Straßen verlegt, damit die Traktoren ungehindert arbeiten und die Kreisberegnungsanlagen aufgestellt werden konnten.
Anfänglicher Optimismus wird zur großen Enttäuschung
Im Dorf Kolisoko habe anfänglich Optimismus geherrscht, so Suleyman Masari, ein 53-jähriger Bauer: „Addax hat uns erklärt, sie würden uns aus der Armut befreien. Sie sagten, sie bräuchten unser Land, um die Armut zu beseitigen und die Kinder in die Schule zu schicken. Und alle Söhne und Töchter von Landeigentümern würden angestellt“. Die Zustimmung sei groß gewesen. Man träumte von Fortschritt, Entwicklung und der Erlösung von der mühsamen Feldarbeit, die gerade einmal das Überleben sicherte. Auf dem Land, das den Gemeinden verblieb, half Addax drei Jahre lang im Rahmen eines Bauernentwicklungsprogramms mit Saatgut und Traktoren nach. Nach Ablauf dieser Zeit wurden die Traktoren zur Miete angeboten. Denn bis dahin, so der Plan, sollten die Bauern und Bäuerinnen auf weniger Land höhere Erträge erzielen und sich den Zukauf von Technologie leisten können. Wenig später brach die Ebola-Krise aus. Anfangs standen die Behörden der Seuche völlig hilflos gegenüber. Das an und für sich kaputte Gesundheitswesen brach zusammen. Gerade, als die Epidemie nach mehr als einem Jahr abzuebben begann, verkündete Addax im Juni vergangenen Jahres, dass sie ihre Produktion drosseln würden. Die Gelegenheitsarbeiter fanden keine Beschäftigung mehr, die Festangestellten wurden mit 45 Prozent ihrer Bezüge nach Hause geschickt. Als Begründung gab die Firmenleitung an, die Ebola-Krise habe das Unternehmen geschwächt, der Ölpreisverfall habe auch die Rentabilität von Bioethanol beeinträchtigt, die Kosten für die ausländischen Angestellten seien zu hoch und Diebstahl habe die Zuckerrohrernte dezimiert. Den Vorwurf des Diebstahls weisen die Bauern und Bäuerinnen entrüstet zurück. Man könne schwerlich sie verantwortlich machen, wenn statt 80 Tonnen Zuckerrohr pro Hektar nur 30 bis 40 Tonnen geerntet würden. Seit Projektstart unterstützt das Sierra Leone Network for the Right to Food (SiLNoRF) die Addax-Projektbetroffenen im Kampf um ihre Rechte und ist dabei ein wichtiger Partner für FIAN. Erklärtes Ziel von SiLNoRF ist es das Menschenrecht auf Nahrung in Sierra Leone durchzusetzen. „Land ist dabei ein kritischer Faktor“, davon ist Mohammed Conteh, Koordinator der NGO, überzeugt. Besondere Sorge bereitet ihm die vollkommene Abhängigkeit der Gemeinden vom Gutdünken eines Konzerns. Zudem zeige das Scheitern des Projekts von Addax einmal mehr, dass Investitionen in die Agrarindustrie nicht zielführend seien, um breite Teile der Bevölkerung dauerhaft aus der Armut zu heben. „Es braucht Investitionen in kleinbäuerliche Strukturen“, bekräftigt er.
Masethle – das Dorf, das sich selbst versorgt
Unter elf besuchten Gemeinden gab es eine einzige, wo sich die Menschen zufrieden zeigten und ein gewisser Wohlstand sichtbar war: Das Dorf Masethle. Dessen Bewohner_innen hatten den Schalmeienklängen von Addax widerstanden und nur etwa ein Viertel ihres Landes verpachtet. Sie produzieren genug Nahrungsmittel, um auf dem Markt von Makeni gute Gewinne zu erwirtschaften. Und aus den Nachbardörfern kommen ständig Leute, die Brennholz und Stöcke für den Hausbau brauchen. Denn deren eigene Wälder sind gerodet. Jahrelang hätten sie dem Druck von Addax standgehalten, erzählen die Dorfältesten. Schließlich seien sie zum entscheidenden Termin mit einem Anwalt erschienen. Addax habe darauf sofort alle Bedingungen akzeptiert. Der Anwalt Sonkita Conteh arbeitet für die gemeinnützige Kanzlei Namati, die von der George-Soros-Stiftung gesponsert wird. Sie kann ihre Dienste gratis anbieten. Die anderen Gemeinden hatten sich auf die von Addax bezahlten Anwälte verlassen. „Womit sich diese Anwälte nicht befasst haben“, kritisiert Conteh, „ist, dass die Dörfer im Pachtvertrag selbst die Flächen, wo ihre Häuser stehen, und die Hinterhofgärten dem Unternehmen überschrieben haben. Das heißt, Addax hätte sogar das Recht, sie aus ihren Häusern zu vertreiben“. Entsprechend verstörend sind Gerüchte über einen völligen Rückzug von Addax und den Verkauf des Projekts. Landwirtschaftsminister Monty Jones hat Verkaufsverhandlungen mit dem britisch-chinesischen Konzern Sunbird BioEnergy bestätigt. Der Anwalt Conteh fragt sich nun, welche Pläne dieses Unternehmen haben möge, wenn Addax wegen offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit aussteigt: „Jeder neue Investor, der in den Vertrag einsteigt, hätte die gleichen Rechte und Verpflichtungen“. Also auch die Vertreibung der Dorfbewohner_innen, wenn es die wirtschaftliche Logik erfordert.
Unsichere Zukunft: Wir bleiben dran!
Für die Menschen vor Ort kam der Ausstieg von Addax vollkommen unerwartet. Jetzt steht die lokale Bevölkerung vor einer ungewissen Zukunft. Niemand kann genau abschätzen, was mit dem Projekt und dem Land passieren wird. FIAN unterstützt zusammen mit SiLNoRF die Addax-Projektbetroffenen im Kampf um ihre Rechte. Die vorwiegend europäischen Entwicklungsbanken gehen nun auf Distanz zu ihrem einstigen Vorzeigeprojekt. Sie können und dürfen ihre Mitverantwortung nicht einfach abstreifen. Besonders in diesen unsicheren Zeiten werden wir die Situation vor Ort genau verfolgen und die Forderungen der Dorfbewohner_innen an die Entwicklungsbanken unterstützen.