Zahlenzauber - wirklich weniger Hunger?

"Positivtrend" ist trügerisch Wien, Berlin 11.10.2013. Im Vorfeld des Welternährungstages hat die FAO ihre neue Schätzung zu den Hungerzahlen veröffentlicht. Sie geht von 842 Millionen hungernden Menschen weltweit aus - einem Rückgang um 26 Millionen. FIAN rät jedoch zu großer Vorsicht bei der Nutzung dieser Zahlen. Die vermittelte Hoffnung ist trügerisch, da diese Zahl vor allem einer neuen Methodik geschuldet ist. Die Effekte steigender Nahrungsmittelpreise werden in der neuen Methodik kaum berücksichtigt.

Vor zwei Jahren, vor der Einführung der neuen Methode, hatte noch alle Welt davon gesprochen, dass die globale Hungerbekämpfung gescheitert sei. Insgesamt gab es durch die Umstellung eine Umkehr von steigenden zu sinkenden Hungerzahlen. Nun sind wir laut FAO auf bestem Wege, das Ziel der Halbierung des Anteils der Hungernden bis 2015 zu erreichen. Grundsätzlich muss man nach FAO-Zählweise ein ganzes Jahr am Stück hungern, um als Hungernde/r zu gelten.

Der „Positivtrend“ ist trügerisch. Fast 80 Prozent des Rückgangs bei den neuen Hungerzahlen sind alleine auf China und Vietnam zurückzuführen. In den 45 ärmsten Ländern der Welt (LDCs) wuchs die Zahl der Hungernden dagegen um 25 Prozent oder 50 Millionen Menschen. Diese Differenzierung wird kaum kommuniziert und im Gegenteil ein globaler Trend suggeriert.

Nahrungsmittelpreise werden großteils ausgeklammert. Für arme Menschen spielen Kosten für Nahrungsmittel eine zentrale Rolle. Viele müssen bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für den Kauf von Nahrungsmitteln ausgeben. Steigen die Preise, können sie sich schnell keine Nahrung mehr leisten. 2009 hatte die FAO noch geschätzt, dass etwa 150 Millionen Menschen besonders wegen der extremen Preisanstiege bei Grundnahrungsmitteln zusätzlich hungern mussten. Nun wurde die Berücksichtigung von Kosten und Preisentwicklung bei Grundnahrungsmitteln in der Methodik stark reduziert. Hungerrevolten in über 40 Ländern und Preisexplosionen bei Grundnahrungsmitteln von teilweise über 200 Prozent in wenigen Wochen finden damit kaum noch Niederschlag in den Berechnungen.

Fragwürdige Messlatte beim Kalorienverbrauch. Der Kalorienverbrauch war und ist die Grundlage der FAO-Zahlen. Die FAO legt jedoch für den Kalorienbedarf einen „bewegungsarmen Lebensstil“ zu Grunde, obwohl sie selbst von „harter/ anstrengender körperlicher Arbeit“ armer Menschen spricht. Dies reduziert den angenommenen minimalen Kalorienbedarf und auch die Auswirkungen auf die Statistik sind enorm. Würde der Berechnung des Kalorienbedarfs nicht ein bewegungsarmer sondern ein „moderater Lebensstil“ zugrunde gelegt, würde die FAO-Schätzung 50 Prozent mehr hungernde Menschen ergeben.

Die FAO-Zahlen geben kaum eine realistische Zahl der Hungernden weltweit wieder. Neue Zahlen sind nicht für Politik zu gebrauchen. Wichtig  für  FIAN ist: Verletzungen  des  Menschenrechts auf Nahrung werden durch die FAO-Berechnungen nur teilweise abgedeckt – und können oft auch nicht in globalen Zahlen erfasst werden. Die Änderung der Methode und die damit verbundenen statistischen Auswirkungen zeigen zudem deutlich, mit welcher Vorsicht solche Zahlen zu genießen sind.

Aus der Sicht von FIAN hat sich an den realen Faktoren, die zu Hunger führen, nichts geändert. Die Ausgrenzung der Hungernden aus der Politikgestaltung und der Ausverkauf natürlicher Ressourcen werden weiter vehement vorangetrieben.

Am 8. Oktober 2013 wurde in Rom das  „Jahrbuch zum Recht auf Nahrung 2013“ (Right to Food and Nutrition Watch) von einer breiten zivilgesellschaftlichen Allianz der Öffentlichkeit vorgestellt. Es identifiziert eine ganze  Reihe von politischen Maßnahmen, die den Hunger verstärken. Dazu gehört die umfassende Privatisierung von natürlichen Ressourcen wie Land und Saatgut. Im Jahrbuch wird  die  problematische Allianz der Politik mit großen internationalen Konzernen und philanthropischen Stiftungen aufgedeckt. Die G8-Allianz zur Ernährungssicherheit in Afrika, die Initiative zur besseren Ernährung SUN (Scaling-Up Nutrition) oder die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA) sind allesamt mit signifikanter Beteiligung dieser Akteure entstanden. So nehmen die beteiligten Agrar-und Nahrungsmittelkonzerne entscheidenden Einfluss darauf, wofür öffentliche Gelder ausgegeben und wie Gesetze geschrieben werden. Interessenskonflikte werden dabei tabuisiert und Menschenrechte ignoriert. Politik muss Hunger bekämpfen anstatt ihn zu verschärfen.

Links:
•    Jahrbuch zum Menschenrecht auf Nahrung 2013 (Right to Food and Nutrition Watch) www.rtfn-watch.org 
+ Video des Launch mit Olivier de Schutter, UN Special Rapporteur on the Right to Food, Léa Winter, Coordinator of the Right to Food and Nutrition Watch, Stineke Oenema, Chair of the CSM Working Group on Nutrition, ICCO, Angel Strappazón, LVC-CLOC, Argentina

•    Hintergrundpapier Hungerzahlen (mit Grafik zum Vergleich der alten und neuen Hungerzahlen)


Rückfragehinweis:
Brigitte Reisenberger, FIAN Österreich: brigitte.reisenberger@fian.at 0699 18 33 00 33

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