Sierra Leone: Drohende Umsiedlung aufgrund von gescheitertem Agrarspritprojekt

Die ungewisse Lage im Projektgebiet von Addax/Sunbird Bioenergy in Makeni, Sierra Leone, spitzt sich weiter zu.

 

Den 300 Bewohner*innen des Dorfes Tonka in unmittelbarer Nähe einer Bioethanol-Anlage droht die Umsiedlung. Die gravierende Umwelt- und Wasserverschmutzung bedroht ihre Lebenssituation. FIAN fordert die Einhaltung menschenrechtlicher Standards bei einer möglichen Umsiedlung, nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation und den Schutz des Rechts auf Nahrung und Wasser für die Dorfbewohner*innen.
 

Zerstörte Lebensgrundlagen für europäischen Biosprit

Ziel des einstigen Vorzeigeprojekts, das von europäischen Entwicklungsbanken finanziert wurde, war die Produktion von Bioethanol durch Zuckerrohr und Cassava – in erster Linie, um damit die Nachfrage nach Agrartreibstoffen in Europa zu befriedigen sowie Strom in das nationale Stromnetz einzuspeisen. FIAN arbeitet mit dem zivilgesellschaftlichen Netzwerk für das Recht auf Nahrung (Sierra Leone Network on the Right to Food/SiLNoRF) zusammen und begleitet die vom Projekt Betroffenen seit 2013. Viele von ihnen haben durch die Anlage ihr Land verloren. Neun Jahre nach seinem Start stellt das Addax/Sunbird Bioenergy Projekt weiterhin eine große Herausforderung für die Gemeinden im Projektgebiet im Norden Sierra Leones dar. Erst Ende 2016 wurden große Anteile von Addax Bioenergy, dem Tochterunternehmen der Schweizer Addax-Oryx Group, an das britisch-chinesische Unternehmen Sunbird Bioenergy verkauft. Der Umstieg auf Cassava und Vertragslandwirtschaft wurde angekündigt.

Umsiedlung des Dorfes Tonka 2020 geplant

Einmal mehr steht die lokale Bevölkerung vor einer ungewissen Zukunft. Im März 2019 wurde bekannt, dass das Dorf Tonka umgesiedelt werden soll. Die Anlage befindet sich direkt auf den ehemaligen Feldern der Gemeinde Tonka. Seit vielen Jahren ist Wasserverschmutzung, die aus Pestiziden und Düngemitteln resultiert, bekannt. FIAN Österreich besuchte Tonka im April 2016. Bereits damals versorgte Addax die Bewohner*innen zwei Mal pro Woche mit vier Trinkwassertanks (je 5.000 Liter). Eine Umsiedlung sollte damit vermieden werden. Nutzten die Bewohner*innen den nahen Fluss zum Waschen, so klagten sie über Hautausschläge. Dazu kamen gravierende Lärm- und Geruchsbelästigung und das Risiko einer Explosionsgefahr der Biogas-Behälter am Rande der Fabrik. Schon beim FIAN-Besuch 2016 machte sich in Tonka nach der anfänglichen Hoffnung auf gut bezahlte sichere Arbeitsplätze Ernüchterung breit. Kaum jemand aus Tonka wurde angestellt. Das Ackerland – ihre Existenzgrundlage – war bereits an den Konzern verloren.

Bisher kaum/kein Dialog mit den Betroffenen vor Ort

Nun droht 300 Menschen die Umsiedlung, es herrscht Unruhe und Sorge, denn die Mitglieder der Gemeinde sehen sich mit zwei ähnlich schlechten Optionen konfrontiert: Viele können oder wollen aufgrund der Umweltverschmutzung nicht bleiben. Eine Umsiedlung ist aber ebenso mit großen Risiken verbunden, denn die Dorfbewohner*innen wurden nicht bzw. nur unzureichend informiert. Fragen zu Lage und Qualität der Ersatzflächen, Entschädigungen für Gesundheitsfolgen und Landverlust wichtiger religiöse Stätten sind nicht annähernd geklärt. Die rechtliche Grundlage für die Umsiedlung ist umstritten. Und auch der Zeitpunkt ist noch offen: Während der Paramount-Chief im März von einer Zwangsumsiedlung innerhalb weniger Tage sprach, konnte mittlerweile durch Unterstützung der NGO SilNoRF und rechtlicher Beratung die Lage etwas entspannt werden. Inzwischen wurde vom Unternehmen angekündigt, dass eine Umsiedelung für 2020 geplant sei. Details blieb der Konzern der Dorfbevölkerung weiterhin schuldig.

Umsiedlung: Menschenrechtliche Standards müssen eingehalten werden

Zusammen mit zahlreichen europäischen NGOs forderte FIAN stets mehr Verantwortung vom Unternehmen und den zu Beginn involvierten europäischen Entwicklungsbanken und den lokalen Behörden ein: es muss nun alles getan werden, um umfassende und rechtzeitige Information vor Ort sicherzustellen und die betroffenen Menschen von Tonka substantiell an der Entscheidungsfindung über ihre Zukunft teilhaben zu lassen. Weiteren negativen Entwicklungen für die lokale Bevölkerung und Menschenrechtsverstöße muss entgegengewirkt werden. Regelmässige inklusive Dialogforen mit den Dorfbewohner*innen, dem Unternehmen, Fachbehörden, zivilgesellschaftlichen Akteuren wie SiLNoRF und unabhängigen Rechtsbeistanden müssen fortgesetzt werden. Das Unternehmen sowie die lokalen und nationalen Behörden müssen menschenrechtliche Mindeststandards wie die „UN Basis-Prinzipien für EntwicklungsbezogeneUmsiedlungen" und „UN-Standards für interne Vertreibung“ einhalten. Bei einer etwaigen unvermeidbaren Umsiedlung sind Landrechts- und Entschädigungsfragen unter Anwendung der UN-Landleitlinien zu regeln.

Rückfragehinweis:

FIAN Österreich, Brigitte Reisenberger, brigitte.reisenberger@fian.at, 01 23 50 239 

Hintergrundinformationen
Fotos vom Dorf Tonka im Addax/Sunbird Projekt-Gebiet mit Wassertanks (FIAN-Recherchereise 2016)

 

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