Wie soziale Einrichtungen in Zeiten von COVID-19 weiterarbeiten
Ein Interview mit Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas der Erzdiözese Wien
Foto: (c) Stefanie J. Steindl
Mit dem Ausbruch der Corona-Krise Mitte März mussten viele soziale Einrichtungen, die jährlich Tausende von Mahlzeiten an armutsbetroffene Menschen austeilen, ihr Angebot kurzzeitig limitieren oder sogar für kurze Zeit schließen. Die Umstellung hat soziale Einrichtungen wie Tagesbetreuungszentren, soziale Supermärkte oder Essensbusse betroffen, und hat massive Konsequenzen für Menschen in Not, die nur durch zusätzliche Hilfsangebote abgefangen werden können. Klaus Schwertner, seit 2013 Geschäftsführer der Caritas der Erzdiözese Wien, erzählt uns über die Entwicklung der Arbeit der sozialen Einrichtungen Le+O, Gruft und Canisibus seit dem Ausbruch der Krise.
Wer sind die Hauptbetroffenen dieser Krise, die sich an die sozialen Einrichtungen der Caritas wenden?
Vielen Menschen, die sich an uns wenden, ist es schon vor der Krise schlecht gegangen. Mit dem Ausbruch dieser Gesundheitskrise sind die Arbeitslosenzahlen so hoch wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Das hatte riesige Herausforderungen zur Folge. 50% der Menschen, die sich über die Corona Hotline an uns gewendet haben, meinten, sie hätten nie gedacht, dass sie jemals von der Caritas Hilfe brauchen würden. Da geht es vor allem um Alleinerziehende, kinderreiche Familien, aber auch um Mindestpensionistinnen und -pensionisten.
Die Anfragen und Essensausgaben sind in den letzten Wochen deutlich gestiegen - haben Sie Zahlen dazu?
Bei den Le+O Lebensmittelausgabestellen sind es mittlerweile mehr als 10.000 Lebensmittelpakete, die wir in den letzten Wochen ausgegeben haben - insgesamt knapp 100 Tonnen Lebensmittel. Auch bei den Suppenbussen, etwa im Canisibus, waren viel längere Schlangen als sonst. Und in der Gruft werden üblicherweise täglich rund um die 180 bis 200 Mittagessen und 180 bis 200 Abendessen ausgegeben.
Um eine Weiterverbreitung des Coronavirus zu vermeiden, wurden verschiedene Maßnahmen getroffen. Wie hat sich das auf die Arbeit der sozialen Einrichtungen ausgewirkt, in denen Menschen eine Mahlzeit bekommen können?
Die Herausforderungen waren enorm. Zum Beispiel das Projekt Le+O - mit 15 Lebensmittelausgabestellen - hatte vor der Krise um die 1.000 Freiwillige im Einsatz. Die große Herausforderung war, dass über 80% davon aufgrund ihres Alters selbst zu vulnerablen Gruppen gehörten und nicht mehr eingesetzt werden konnten. Das heißt, wir konnten einige Tage die Lebensmittelausgaben nicht durchführen. Dabei haben wir auch gleich gesehen, welche Auswirkungen das hat: die Menschen haben sich verzweifelt gemeldet und gefragt, wann wir wieder aufsperren. Manche davon sind in ihren Wohnungen gesessen und haben sich nicht hinaus getraut.
Wie konnten sie diese Situation lösen?
Wir haben das Le+O Projekt dann sehr rasch umgestellt. Wir haben einen großen Aufruf gestartet und es haben sich sehr viele junge Menschen gemeldet. Die wurden dann innerhalb von 24-48 Stunden eingeschult und waren somit schon schnell im Einsatz. Es gibt seither Lebensmittel-Notausgabenstellen an allen Wochentagen und an unterschiedlichen Orten in Wien. Das sind vielfach Pfarrhöfe oder Gärten, weil wir das ganze ins Freie verlegt haben, um entsprechende Hygienemaßnahmen bzw. die behördlichen Maßnahmen umsetzen zu können. Wir haben das System so umgestellt, dass fertige Lebensmittelpakete ausgegeben werden können, dass es Desinfektionsmittel gibt, dass der Mindestabstand eingehalten werden kann, und alles organisiert, damit diese Lebensmittelpakete dann sehr schnell ausgegeben werden können. Damit die Versorgung sichergestellt ist, haben wir auch für die Leute, die sich nicht heraus getraut haben, das Essen kontaktlos vor die Tür gestellt.
Wie haben sich diese Maßnahmen in den Tageszentren ausgewirkt?
So wie bei Le+O gab es in der Gruft die Herausforderung, dass es hier viele Freiwillige im Einsatz gab, die nicht kommen konnten. Darüber hinaus mussten wir die Anzahl der Menschen in Tageszentren reduzieren, damit der entsprechende Mindestabstand eingehalten werden konnte. Deshalb wurde auch das zusätzliche Notquartier am Bahnhof Meidling innerhalb von wenigen Tagen eröffnet. Vor Ort wurde dann jeweils eine geringere Personenanzahl versorgt. Es gab dann auch an unterschiedlichen Orten eine Ausweitung auf einen 24-Stunden Betrieb, auch um etwa Einrichtungen wie die Gruft zu entlasten. Die Herausforderung bei der Gruft und generell bei der Obdachlosenarbeit ist, dass man überlegen muss, was Quarantänemaßnahmen bedeuten, wenn man keine eigenen vier Wände hat - die Sorge, wenn man in der Früh hinaus muss, was dann mit den Leuten ist. Das ist durch die Umstellung auf den 24-Stunden Betrieb gut gelungen.
Woher bekommt ihr die Lebensmittel für diese Initiativen und wie hat sich das in den letzten Monaten entwickelt?
In der Gruft werden die Mahlzeiten normalerweise von Kochgruppen zubereitet. Die Kochgruppen oder auch Unternehmen gehen selbst einkaufen, bereiten die Mahlzeiten zu und geben sie dann aus. In den letzten Monaten haben sich auch viele Hotel- und Gastronomiebetriebe, etwa das Hotel „InterContinental“ oder das „Steirereck“, die zusperren mussten, bei uns gemeldet und gefragt, ob sie Lebensmittel an uns spenden können.
Gibt es weitere Pläne, sollte sich diese Situation verlängern?
Wir arbeiten an Maßnahmen, weil im Herbst die Grippezeit kommt und wir natürlich auch vorbereitet sein müssen, falls eine zweite Corona-Welle kommt.
Die Arbeit, die ihr macht, ist für viele Menschen sehr wichtig. Welche Unterstützung seht ihr als wichtig, um weiter diesen Menschen helfen zu können?
Das Winterpaket von der Stadt Wien wurde verlängert, was sehr wichtig ist. Auch der Hilfsfonds für NPOs wird besprochen. Als Caritas sind wir stark von Spenden abhängig und brauchen diese Unterstützung, um unsere Aufgabe weiter erfüllen zu können.
Das Interview führte Elisa Klein-Diaz
Der Text ist im FOODFirst Magazin 1-2020 erschienen