Wider die falschen Antworten der grünen Gentechnik: Sozial-Ökologische und Feministische Bewegungen im Kampf für Ernährungssouveränität

Erneut werden Debatten um die Wirksamkeit der grünen Gentechnik zur Bekämpfung des Welthungers geführt. Erfahrungen in Indien zeigen jedoch, dass rein technische Ansätze die Probleme nicht lösen. Tatsächlich sind vielfältige, lokal angepasste Nahrungssysteme weit besser in der Lage, eine gesunde Ernährung zu ermöglichen. Angesichts der herrschenden Machtverhältnisse müssen Lebensweisen hin zu Ernährungssouveränität, Landrechten, demokratischem Zugang zur Nahrungserzeugung und intersektionale Geschlechtergerechtigkeit aktiv erkämpft werden.

Protest von Dalits für Landrechte ©ActionAid India/Flickr, CC BY-NC-ND 2.0

 

 

Am 7.2.2024 hat das Europäische Parlament den Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission zu Lockerung von Regeln zum Einsatz neuer Gentechniken in der Landwirtschaft mit knapper Mehrheit angenommen. Zugleich wurden Änderungsanträge zu Kennzeichnungen für Lebens- und Futtermittel, Rückverfolgbarkeit, Umweltmonitoring und einer Klausel über Widerruf von Patentzulassungen akzeptiert. Konkret geht es um die Frage, ob neue Methoden wie CRISP/Cas ohne Zulassungspflicht eingesetzt werden dürfen. Einige Wissenschaftler*innen (u.a. Christine Vollhardt-Nüsslein, Matin Quaim) fordern, die Vorbehalte gegenüber genomisch veränderten Pflanzen aufzugeben. Insbesondere die Anreicherung von Nahrungsmitteln, die sogenannte Fortifikation, wird als Versprechen für Hungerbekämpfung und gesicherte Welternährung bis 2050 proklamiert. Dabei wird oftmals ausgeblendet, dass Hungerkrisen nicht aus heiterem Himmel auftreten, sondern auf strukturellen Ursachen wie Freihandelsabkommen, Spekulation und Landraub beruhen.

So zum Beispiel in Indien, dem Land mit den meisten Hungernden weltweit: der Beitritt zur WTO 1991 und die Wirtschaftsliberalisierung führten zur Kürzung von Subventionen für Bäuer*innen, Öffnung der Märkte für transnationale Konzerne, Privatisierung von Gemeinschaftsgütern sowie einer exportorientierten Produktion anstelle der Selbstversorgung.

Seitdem sind zwar mehr Frauen* in der Landwirtschaft tätig; diese ermöglicht jedoch kaum mehr existenzsichernde Einkommen. Zudem wird der Zugang zu kollektiv genutzten Ländereien, Wäldern und Weihern durch die Modi-Regierung und transnationale Konzerne zunehmend beschränkt. Auch die Aushöhlung lokaler Wissenssysteme und die Verminderung biologischer Vielfalt vergrößern die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten. Mit der Folge, dass vor allem Kleinbäuer*innen aus benachteiligten Gruppen wie Dalits (Unberührbare), Adivasi (Indigene) ebenso wie Viehhirt*innen und Fischer*innen von Anämie, Untergewicht und Ernährungsunsicherheit betroffen sind.

 

„Nutrionismus“ und postkoloniale Geschlechterverhältnisse

Während Indien nach der Unabhängigkeit auf kalorische Grundversorgung aller Staatsbürger*innen abzielte, ist gegenwärtig ein neuer Fokus auf Nährwerte erkennbar, der sog. „Nutrionismus“. Hunger wird dadurch individualisiert und als persönliches Nährstoffproblem betrachtet, losgelöst von komplexen gesellschaftlichen Ursachen. Mangelernährung gilt als vermeintlich technische – und nicht als politische – Frage. Dies zeigt sich auch, wenn Nutrionismus biochemische und unternehmerische Kenntnisse zu Nahrung über das Erfahrungswissen und die Ernährungskompetenzen von Frauen* stellt, die oftmals für Essen zuständig sind.

Darüber hinaus sind vereinfachte Ideen von Geschlechterverhältnissen für nutrionistische Ideologien zentral: schwangere und stillende Frauen* mit geringem Einkommen gelten in vielen öffentlich-privaten Entwicklungsprogrammen, in denen Nahrungskonzerne gezielt Einfluss nehmen, als Zielgruppe. Ihnen wird mit Bezug auf ‚mütterliche Verantwortlichkeit‘ für Familie und Nation nahegelegt, in der Schwangerschaft und den ersten zwei Jahren Nahrungsmittel mit Zusatzstoffen von z.B. Nestlé zu nutzen. Diese privat zu erwerbenden Lebensmittel werden mit Verweis auf das Wohl des Kindes aggressiv vermarktet und in Projekten gegen Unterernährung von Kindern verordnet.

Flankierend finden sich in medizinischen Zeitschriften wie The Lancet Veröffentlichungen, die den Nutzen angereicherter Babynahrung ‚belegen‘. Kritische indische Wissenschaftler*innen haben nachgewiesen, dass diese nicht auf unabhängigen Untersuchungen basieren. Einige der Leitautor*innen des Lancet-Artikels verfügen über bezahlte Beratungsverträge mit Nestlé , dem größten Hersteller von Babynahrung, und offenbaren diesen Interessenkonflikt nicht.

 

Forderung nach demokratisierter Nahrungserzeugung

2009 hat sich in Südindien das sozial-ökologische Netzwerk Food Sovereignty Alliance India (FSA) gegründet, um Ernährungssouveränität zu erreichen sowie Enteignungen von Wald, Land, Wasser und biologischer Vielfalt entgegenzutreten. Die politischen Bewegungen von Adivasi*, Dalit*, Kleinbäuer*innen sowie Hirt*innen und Fischer*innen zielen darauf ab, die kommunale Kontrolle über Nahrungs- und Landwirtschaftssysteme zurückzugewinnen. Die Verteidigung der Rechte auf natürliche Ressourcen ist dabei nur möglich, sofern Frauen* die Führung innehaben und patriarchale Strukturen überwunden werden.

Für eine eigene Untersuchung zum Nahrungsstatus hat FSA 2017 sechs Dörfer mit 1.735 Haushalten verschiedener Adivasi- und Dalitgruppierungen, Kleinbäuer*innen sowie Hirt*innen in verschiedenen Regionen ausgewählt. Angelehnt an die partizipatorische Aktionsforschung beantworteten beteiligte Mitglieder zusammen mit Dorfbewohner*innen Fragen zu traditionellen Ernährungssystemen vor dem Hintergrund (inter)nationaler Landwirtschafts- und Nahrungspolitiken.

Es zeigte sich, dass in allen Gemeinschaften diversifizierte und nährreiche Nahrungssysteme vorhanden sind, eingebettet in ökologisch-soziale Kontexte, und ein reiches Wissen über resiliente Ernährungssysteme (Herstellung, Aufbewahrung, medizinische Eigenschaften) vorhanden ist, das auf gelebten Erfahrungen basiert. Ebenso wurde sichtbar, dass das systematische Wissen von Kleinbäuerinnen über Ernährung, Landwirtschaft und Ökosysteme aufgewertet und institutionell gefördert werden muss.

 

Lokale und intersektional gerechte Lösungen überlegen – im (inter)nationalen Kontext

Wichtig in Bezug auf die ‚Versprechen‘ grüner Gentechnik ist das Vorkommen von Beta-Carotin, eine Vorstufe von Vitamin A. Die indische Regierung will den Vitamin-A-Mangel in Kooperation mit Technologiekonzernen durch den sogenannten ‚Goldenen Reis‘ bekämpfen. Die neueste Version Goldener Reis (GR2E) verfügt jedoch über weniger Vitamin-A als traditionelle Sorten. Ebenso belegen Studien, dass mit Mikronährstoffen angereicherte Grundnahrungsmittel (wie der mit Eisen versetzte Reis im staatlichen Mittagessen für Schulkinder) ohne Berücksichtigung lokaler Kontexte im schlimmsten Fall zu Überdosierungen und Vergiftungen führen (siehe Seite 22). Auch sind die Kosten der Fortifikations wesentlich höher als viele Ernährungs- und Sozialprogramme. Forciert wurde die verpflichtende Anreicherung in Indien vor allem durch Lobby- und aggressive Öffentlichkeitsarbeit fünf transnationaler Konzerne, die von der Anreicherung profitieren, wie zum Beispiel der deutschen BASF.

 

Ausblick: Systemwechsel und gutes Leben für Alle

Sozial-ökologische feministische Bewegungen im globalen Süden haben verdeutlicht, dass ungleiche Geschlechterverhältnisse auch innerhalb bäuerlicher Haushalte und Gemeinschaften existieren. Zugleich muss Geschlecht erweitert bzw. umfassend, also verflochten mit Kasteismus, internem Rassismus gegenüber Indigenen, Stadt-Land-Gefälle und grünem Kapitalismus als Fortsetzung kolonialrassistischer Strukturen begriffen werden. Darüber hinaus sollten transnationale feministische Gruppen und Ansätze – auch in Deutschland – von der Handlungsfähigkeit, den Kenntnissen sowie langjährigen politischen Kämpfen subalterner Frauen* für Ernährungssouveränität lernen.

Mit Blick auf die gegenwärtigen Vielfachkrisen bietet sich für transnational feministische Akteur*innen die Gelegenheit, die tieferen Entstehungsbedingungen von Hungersnot sichtbar zu machen: Ernährung und globalisierte Nahrungsproduktion können in Verbindung mit geschlechtsspezifischer Armut, unfairen internationalen Handelsabkommen, der Intensivierung exportorientierter Landwirtschaft, land grabbing für Biodiesel als zentrale intersektionale sowie dekolonial-feministische Themen anerkannt und repolitisiert werden. Nur so lassen sich Plattformen für linke Allianzen von Frauen*-, LGBTIQ-, Umwelt-, antirassistischen bzw. dekolonialen Bewegungen, antikapitalistischen Organisationen, indigenen Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen für Ernährungssouveränität, Biodiversität, Geschlechter-, Klima- sowie wirtschaftliche und politische Gerechtigkeit in der Praxis erreichen – mit nichts weniger als einem Systemwechsel als Ziel.

 

Dr. Christine Löw, Vertretungsprofessorin „Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Gender Studies“, Uni Gießen. Schwerpunkte: Post-/dekolonial-feministische Theorien, Umwelt- und Klimaforschung, Nachhaltigkeit, Neue soziale Bewegungen und sozial-ökologische Transformationen, Globale politische Ökonomie und material feminisms, Kritische Gesellschaftstheorie. Langfassung des Artikels „Technologische Lösungen gegen Mangelernährung?“ unter: https://doi.org/10.3224/gender.v15i2.08; Kontakt: christine.loew@sowi.uni-giessen.de

FIAN-Partner fördern Agrarökologie

Die indonesische Bauerngewerkschaft SPI unterstützt ihre Mitglieder bei der Umstellung auf Agrarökologie. Die steigenden Preise für Düngemittel und Pestizide machen diesen Schritt für mehr und mehr Landwirte attraktiv. FIAN Deutschland-Referent Mathias Pfeifer und FIAN Deutschland-Geschäftsführer Philipp Mimkes besuchten zwei Schulungszentren, in denen der ökologische Anbau, die Eigenproduktion von Düngemitteln sowie Vertriebskonzepte vermittelt werden. Dank hoher Erträge können die Bäuerinnen und Bauern selbst auf kleinsten Parzellen erfolgreich wirtschaften.  

"Die Agrarreform bleibt ein unerfülltes Versprechen"

Die vorherrschende Meinung sieht drei Hauptgründe für die anhaltenden Ernährungsprobleme: die Covid-Pandemie, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und den Klimawandel. Joseph Purugganan hingegen bezeichnet die globale Ernährungskrise als Folge der industriellen Landwirtschaft. Purugganan koordiniert das Philippinen-Programm von Focus on the Global South. Die Organisation ist eng verbunden mit sozialen Bewegungen in Asien und entwickelt Konzepte für einen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandel.

Sri Lanka-Nahrungskrise und Sparprogramme

Eine der jüngsten und zugleich sehr aktiven FIAN-Sektionen befindet sich in Sri Lanka. Das südasiatische Land wurde im vergangenen Jahr von einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert, mit verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung. Viele Haushalte haben sich verschuldet, um die steigenden Preise für Lebensmittel, Medikamente und Kraftstoffe zahlen zu können. FIAN Sri Lanka setzt sich für die Rechte von marginalisierten Bevölkerungsgruppen, Bäuerinnen und Bauern sowie Fischer:innen ein und kooperiert hierbei auch mit Behörden. Sabine Pabst (FIAN International) sprach mit dem Geschäftsführer Thilak Karyawasam und dem Vorstandsvorsitzenden Sathivel Visvalingam.

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