Kein Land, keine Nahrung, kein Leben

Brasilianische Regierung setzt Grundnahrungsmittel-Lieferungen für die indigenen Gemeinschaften der Guarani Kaiowá aus.

Foto: Alex del Rey / FIAN International

In der Reihe aggressiver Maßnahmen gegen indigene Völker in Brasilien hat die brasilianische Regierung beschlossen, die Lieferung von Grundnahrungsmitteln an zahlreiche Guarani-Kaiowá-Gemeinden im Bundesstaat Mato Grosso do Sul einzustellen. Diesen Schritt legitimiert die Regierung damit, dass FUNAI - das verantwortliche Organ für den Schutz der indigenen Gemeinschaften im Land - keine Nahrungsmittel an Menschen liefern solle, die ihrer Ansicht nach "illegal in das Land eindringen".

Die Wahrheit ist, dass die Regierung die seit Generationen von den Guarani und Kaiowá bewohnten indigenen Gebiete nie demarkiert und homologiert hat - eine verfassungsmäßige Verpflichtung des brasilianischen Staates. Dies führte zu einem Teufelskreis und einem bitteren Kampf um Land und ein Leben in Würde: Ohne Zugang zu ihren Territorien und ohne Demarkation leben die Guarani-Kaiowá auf einem Land, das ständig umkämpft ist. Unter diesen Voraussetzungen können einfach keine eigenen Nahrungsmittel produzieren. Da es bis heute keine Regularisierung ihrer Landrechte gibt, ist der Zugang zu Nahrungsmittelhilfe-Programmen ständig gefährdet.

Grundnahrungsmittel auf einem Drahtseil

Im Jahr 2013 führten FIAN International und FIAN Brasilien mit Unterstützung von CIMI und Aty Guasu - der politischen Versammlung der Guarani-Kaiowá - eine sozioökonomische und ernährungswissenschaftliche Untersuchung in drei symbolträchtigen Gemeinden der Guarani-Kaiowá durch, nämlich in Guaiviry, Ypo'i und Kurusu Ambá. Die Ergebnisse zeigten eine klare Verletzung des Menschenrechts auf angemessene Nahrung und Ernährung der Gemeinschaften. In allen drei Gemeinschaften waren alle Haushalte zum Zeitpunkt der Umfrage in einem gewissen Grad von Nahrungsmittel- und Ernährungsunsicherheit betroffen - auch die Kinder. Diese Situation hat sich seither verschlechtert, da keine weiteren Gebiete von der Regierung abgegrenzt und rechtmäßig anerkannt wurden.

In den Jahren 2017 und 2018 gab es bereits Beschwerden über die Reduktion und Aussetzung der Grundnahrungsmittel, die den Guarani-Kaiowá zur Verfügung gestellt wurden. FIAN setzte sich mit den zuständigen Stellen in Verbindung und forderte die notwendigen Maßnahmen, damit die Verteilung von Grundnahrungsmitteln so bald wie möglich wieder aufgenommen werden kann, um eine weitere Verschärfung der Situation zu vermeiden. Dadurch konnte eine zeitweise Wiederaufnahme der Lieferungen erreicht werden, jedoch immer unter der Drohung neuerlicher Aussetzungen.

Bei den jüngsten Feldbesuchen berichteten indigene Vertreter der Guarani-Kaiowá über Schwierigkeiten beim physischen und finanziellen Zugang zu Nahrungsmitteln, insbesondere zu ausreichender Nahrung. Neben dem fehlenden Einkommen reicht das Land, das sie rechtmäßig besetzen, entweder nicht für die Bepflanzung aus, oder der extensive Einsatz von Agrochemikalien und Pestiziden in Monokulturen hindert sie daran, Nahrung auf ihre traditionelle Art und Weise anzubauen. Darüber hinaus sind die Guarani-Kaiowá-Gemeinschaften Ziel von Großgrundbesitzern und ihren Milizen - die mit Unterstützung der Staatspolizei agieren. In vielen Fällen führt dies zur Ermordung sowie zur Kriminalisierung und willkürlichen Inhaftierung der indigenen Führer.

Eine Art langsamer Völkermord

Die Entscheidung der brasilianischen Regierung, die Lieferung von Grundnahrungsmitteln an die indigenen Guarani-Kaiowá auszusetzen, verstößt gegen mehrere nationale und internationale Menschenrechtsstandards. Vertreter*innen der indigenen Gemeinschaften kämpfen weiterhin für die Erfüllung des Rechts auf angemessene Nahrung in der Region und für ihre kleinbäuerlichen Rechte und fordern Partizipation ein. So diskutierten sie Strategien für die Region mit den zuständigen Behörden, jedoch zeichnet sich aktuell kein Vorankommen ab.

"Anstatt das Problem durch die Demarkation unseres Territoriums zu lösen, droht uns die Regierung mit der Vertreibung sowie mit der Aussetzung von Grundnahrungsmitteln, Sozialhilfe und allem Möglichen. Es ist unmenschlich, was sie uns antun, wir brauchen und sind auf das Land angewiesen, wir müssen uns selbst ernähren, um zu überleben", so Guarani-Kaiowá-Führer Elizeu. Wie in Exklusivinterviews mit Elizeu und anderen Anführern und Vertretern der Guarani-Kaiowá in Mato Grosso do Sul im Rahmen der Initiative „Tekoha is Life“ veranschaulicht wird, leben die Gemeinschaften unter erbärmlichen Bedingungen.

FIAN unterstützt das Vertretungsorgan der Guarani-Kaiowá, die Aty Guasu, und hat Beschwerden bei den UN-Sonderberichterstattern und Kommissaren der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) eingereicht, um dringende Maßnahmen zu ergreifen. „Die gezielte zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen ist ein wichtiges Instrument, um akute Bedrohungen abzuwenden“, betont Tina Wirnsberger, Projektkoordinatorin bei FIAN Österreich. So gelang es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Pressemitteilung, dass einige Lieferungen aufgrund der Mobilisierung der Zivilgesellschaft wieder aufgenommen wurden. Sie könnten jedoch jederzeit abgesagt werden, wie dies in der Vergangenheit bereits geschah.

"Die Regierung und der Rassismus treiben die Guarani-Kaiowá und andere indigene Völker buchstäblich dazu, in Hunger und einer Situation ständiger Ernährungsunsicherheit zu leben. Wie werden sie überleben? Welche Art von Schutz werden sie vor äußeren Krisen wie dem Coronavirus haben? Das ist wie ein langsamer Völkermord", schließt Felipe Bley-Folly, Koordinator für Justiziabilität und indigene Völker bei FIAN International.

 

Interviews mit Guarani-Kaiowá Führern #tekohaislife

Factsheet zur Situation der Guarani-Kaiowá

 

Rückfragen an: tina.wirnsberger@fian.at

 

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