Öffentliche Anhörung offenbart Ausmaß der Gewalt gegen Bauerngemeinschaften

HONDURAS Wien, 4. Juni 2012. Morde, Gewalt, Entführungen – Bauern und Journalisten in Bajo Aguan (Honduras) leben gefährlich. Die menschenrechtliche Situation vor Ort ist ernst. Zu diesem Schluss kam am Donnerstag eine von FIAN und acht anderen Nichtregierungsorganisationen (NRO) getragene öffentliche Anhörung in der Bezirkshauptstadt Tocoa, an der auch Beobachter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, der interamerikanischen Menschenrechtskommission und der Europäischen Unionteilnahmen. Mit 18 Forderungen rufen die NRO die honduranische Regierung und die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf.

„Viele Bäuerinnen und Bauern berichteten uns von Folter, Vertreibung und Morden. Es ist erschütternd, die Aussagen der Opfer, Familienangehörigen und Zeugen zu hören. Die Witwen der ermordeten Bauern, der Vater des erschossenen Journalisten, der 17-jährige Junge, den von Sicherheitskräften gefoltert wurde: sie wollen Gerechtigkeit, sie brauchen Schutz, ein Ende der Straflosigkeit und eine dauerhafte und gerechte Lösung des Landkonflikts mit den Palmöl-Unternehmern. “, berichtet FIAN-Referent Martin Wolpold-Bosien, internationaler Koordinator der Anhörung.

 

Seit September 2009 sind im Zusammenhang mit dem Landkonflikt m Bajo Aguán 48 organisierte Bäuerinnen und Bauern, ein Journalist und seine Partnerin ermordet worden. Ein weiterer Bauer ist seit über einem Jahr nach seiner Festnahme durch private Sicherheitskräfte verschwunden. „In keinem anderen Landkonflikt Zentralamerikas der letzten 15 Jahre hat es ein solches Ausmaß von Gewalt gegen Bauerngemeinden gegeben“, sagt Wolpold-Bosien, seit 1993 Zentralamerika-Referent bei FIAN, “Wir sind froh, dass auch Vertreter von der interamerikanischen Menschenrechtskommission, UN und EU zu den öffentlichen Anhörung in den Bajo Aguán gekommen sind. Die internationale Gemeinschaft darf diese Gewalt nicht länger tolerieren!“

 

Die Bauerngemeinschaften von Bajo Aguan kämpfen seit fast zwei Jahrzehnten um ihr Recht auf Land und Nahrung. In den 1960ern sollte eine Agrarreform zu einer umfassenden Neuverteilung von Land und Ackerflächen führen. Ein Gesetz von 1992 machte jedoch wichtige Teile der Landreform rückgängig. Ölpalm-Produzenten nutzten die neue Lage aus und eigneten sich einen Großteil des Agrarreformlandes an.

 

Seit dem Putsch von 2009 hat sich die Menschenrechtslage in Honduras weiter verschlechtert. Auch Journalisten leben extrem gefährlich: nach Angaben der Menschenrechtsorganisation COFADEH sind seither 24 Journalisten ermordet worden. Die Politik des Landes spielt ein doppeltes Spiel: Einerseits garantiert ein von Staatspräsident Porfirio Lobo Sosa unterzeichnetes Abkommen vom April 2010den landlosen Familien neben einem ehemaligen Militärgelände weitere Ländereien mit einer Gesamtgröße von 11.000 Hektar Land. Andererseits gehen Polizei und Militär gemeinsam mit privaten Sicherheitskräften gegen die Bauernbewegung vor. Die Justiz schaut weg oder kriminalisiert den Kampf der Kleinbauern um ihr Land.

 

Für die erste Junihälfte haben die Behörden auf Druck des Großgrundbesitzers Miguel Facussé breit angelegte Vertreibungen angekündigt, falls die Bauern nicht auf die kaum annehmbaren Bedingungen von Regierung und Palmölsektor eingehen. „Wir sind in großer Sorge und haben gemeinsam mit allen nationalen und internationalen Netzwerken zur Deeskalation der Gewalt, zu einer gewaltfreien, gerechten und dauerhaften Lösung des Landkonflikts aufgerufen“ , sagt Wolpold-Bosien: „Die internationale Gemeinschaft muss außerdem darauf drängen, dass die begangenen Menschenrechtsverletzungen im Bajo Aguán aufgeklärt werden und die Straflosigkeit ein Ende nimmt!“

 

„Die Forderungen sind auch als klarer Auftrag an die österreichische Regierung zu verstehen: Als Mitglied des UN-Menschenrechtsrats sollte Österreich von der honduranischen Regierung Rechenschaft einfordern, als EU Mitglied sollte Österreich die Stimme erheben und sich gegen weitere Unterzeichnung und Ratifizierung von Abkommen mit Honduras aussprechen. Und schließlich fließen EZA-Gelder über die OeEB und Weltbank/IFC in honduranische Großprojekte – auch hier hat die österreichische Regierung den klaren Auftrag, der Achtung und dem Schutz von Menschenrechten Priorität einzuräumen, “ meint Ralf Leonhard, Mitglied des Vorstandes von FIAN Österreich.

 

 

FIAN und andere Nichtregierungsorganisationen formulierten als Resultat der Anhörung 18 Forderungen an den honduranischen Staat und die internationale Gemeinschaft. Sie sollen den Schutz und die Menschenrechtslage der der Landlosen im Bajo Aguan verbessern helfen:

 

Der honduranische Staat soll

a. alle Vergehen und schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im unteren Aguán-Tal unverzüglich und konsequent untersuchen und bestrafen, einschließlich der strafrechtlichen Verfolgung aller Täter und geistigen Urheber dieser Taten;

b. die Repression, Übergriffe und Gewalt gegen die Bauernbewegung sofort einstellen;

c. wirksame Maßnahmen zum Schutz der gefährdeten Personen ergreifen;

d. keine weiteren gewaltsamen Vertreibungen durchführen;

e. eine umfassende, gerechte, friedliche und nachhaltige Lösung für die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern herbeiführen, indem er die rechtlichen Bestimmungen und politischen Verpflichtungen umsetzt, die er mit den Bauernorganisationen vereinbart hat;

f. die Aktivitäten der privaten Sicherheitsunternehmen entsprechend regulieren, um die umfassende Achtung der Menschenrechte zu gewährleisten;

g. jegliche Einschüchterungsmaßnahmen oder Drohungen gegen TeilnehmerInnen an der Anhörung unterlassen;

h. die interamerikanische Menschenrechtskommission zu einem Vorortbesuch einladen.

 

Die internationale Gemeinschaft soll

g. in ihrem Dialog mit der honduranischen Regierung darauf bestehen, dass die Verletzungen der Menschenrechte im unteren Aguán-Tal untersucht und strafrechtlich verfolgt werden;

h. mit konkreten und wirksamen Maßnahmen zu einem größeren Schutz der gefährdeten Personen, insbesondere im unteren Aguán-Tal, beitragen;

i. die Lage im unteren Aguán-Tal und insbesondere den Landkonflikt einer ständigen Beobachtung unterziehen und eine aktive Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte übernehmen;

j. sicherstellen, dass die internationale bilaterale und multilaterale wirtscahftliche Zusammenarbeit mit Honduras und mit Privatunternehmen nicht zur Verletzung von Menschenrechten beiträgt und der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte verpflichtet ist;

k. in Zusammenhang mit der internationalen Zusammenarbeit und mit den multilateralen Banken alle ihre finanziellen Kooperationsabkommen mit öffentlichen und privaten Sicherheitskräften prüfen, die mutmaßlich in Gewaltaktionen, Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen in der Region verwickelt sind;

l. im Rahmen der Zusammenarbeit, insbesondere mit der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, ein Sicherheitskonzept voranzutreiben, das auf die Förderung der Gerechtigkeit und der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte ausgerichtet ist.

m. Angesichts der schwerwiegenden Lage der Menschenrechtsverletzungen ergibt sich die Schlussfolgerung, dass keine angemessenen Bedingungen für die Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika vorliegen.

n. die internationale Zusammenarbeit einstellen, die der Förderung der Militarisierung und der Verschärfung der Menschenrechtssituation dient, insbesondere im Fall der militärischen Unterstützung durch die USA;

o. die Einrichtung eines Büros des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Honduras unterstützen;

p. Vorortbesuche durch internationale Menschenrechtsinstitutionen, insbesondere die interamerikanische Menschenrechtskommission sowie die UN-SonderberichterstatterInnen durchführen, um Informationen aus erster Hand über die Menschenrechtsverletzungen zu erhalten, die im unteren Aguán-Tal verübt worden sind und verübt werden.

 

Im Anhang finden Sie das komplette Statement der Nichtregierungsorganisationen zur öffentlichen Anhörung vom 28 Mai 2012.

 

Pressekontakt:

Martin Wolpold-Bosien, FIAN International wolpold-bosien@fian.org, ; 0049-177-3391263 oder 0049-711-4209947 oder

Gertrude Klaffenböck, FIAN Österreich; 01-2350239-13 oder 0650 4055511

Mikrofinanzkrise: OECD-Beschwerde gegen Oikocredit

Mikrokredite entpuppen sich in Kambodscha seit Jahren als Schuldenfalle. Während sie europäischen Investoren Profite bringen, führen sie vor Ort zu Landverlust, Armut und Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem hat der sogenannte „ethische“ Investor Oikocredit seine Investitionen in Kambodscha sogar noch erhöht. Drei NGOs legen daher nun Beschwerde gegen Oikocredit bei der OECD ein.

nach oben